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Forum Übersicht » Ausstiegstagebuecher » Ausstiegstagebuecher für BETROFFENE » Paul - Ausstiegstagebuch (OSS), Beginn 26.02.2012
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Paul - Ausstiegstagebuch (OSS), Beginn 26.02.2012
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Hi,

Ich habe beschlossen, ein Ausstiegstagebuch zu führen. Ich werde in den folgenden Einträgen näher darauf eingehen, warum und weshalb.

Ich bin mir nicht sicher, unter welchen Bedingungen ich dieses Tagebuch in diesem Forum führen kann oder soll.

Ich werde einfach erst mal anfangen, d.h. ich möchte jetzt einfach anfangen, und wenn es irgendwelche Schwierigkeiten oder irgend etwas zu klären gibt, bitte ich die entsprechenden Administratoren, mich darauf hinzuweisen.

Ich bin mir natürlich im klaren darüber, daß das, was ich hier veröffentliche, allen zugänglich ist.

Noch etwas zur Erklärung: Wie ich in den folgenden Beiträgen erklären werde, habe ich mich dazu entschlossen, bei mir zu Hause eine online-freie Zone einzurichten. Die Beiträge, die ich hier schreibe, verfasse ich zu Hause offline auf meinem Rechner, und bringe sie dann einmal die Woche, am Sonntag, per USB-Stick ins Internet-Café, und lade sie dort hoch.

Auf eure Beiträge werde ich also immer mit mindestens einer Woche Verzögerung antworten. Dafür bitte ich euch um Verständnis.

Vielen Dank im Voraus für jede Hilfe,
Paul


Im folgenden also die Einträge aus der letzten Woche.






„Nicht der Beginn wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.“ - Katharina von Siena



"We become what we think about most of the time." - Earl Nightingale



26.02.2012 20:33:04  
Paul Milafehlende Rechte fehlende Rechte fehlende Rechte 
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Montag, 20. Februar 2012 - 2. Tag:


Als erstes möchte ich an dieser Stelle meinen Ansatz vorstellen, mit dem ich die Online-Sexsucht überwinden will. Ich möchte klare Ziele formulieren und einen klaren Weg, auf dem ich diese Ziele erreichen will.


Meine Ziele:


1. Ich möchte von der Sexsucht / Online-Sexsucht vollständig und endgültig loslassen.

2. Ich möchte vollständig damit aufhören, zwanghaft sexuell zu handeln oder meine Sexualität als Suchtmittel zu mißbrauchen.

3. Ich möchte eine erfüllte, zwanglose und freie Sexualität entwickeln.



Meinen Erfolg kann und werde ich daran messen, in wie weit ich diese Ziele erreicht habe.



Mein Weg:


1. Radikale Entscheidung

Ich werde mir von heute an nie wieder irgendeine Art von Pornographie anschauen oder anhören. Ohne Ausnahme. Als Pornographie definiere ich jegliches Medium, das darauf abzielt, sexuelle Erregung in mir zu erzeugen.


Diesen Ansatz halte ich langfristig für den leichtesten, weil er unmißverständlich klar ist. Es gibt nur eine einzige, völlig unmißverständliche Anweisung, ohne Ausnahmen und ohne wenn und aber. "Ist es Pornographie? - Dann schau ich's mir nicht an." Ende der Diskussion.

So habe ich es damals auch mit den Zigaretten gemacht. Ich habe von heute auf morgen mit dem Rauchen aufgehört, und ich habe die Entscheidung getroffen, daß ich in meinem ganzen Leben nie wieder auch nur eine einzige Zigarette rauchen werde. In den Jahren danach habe ich noch dreimal eine Zigarette geraucht, und bei jedem mal war ich stark betrunken gewesen. Inzwischen habe ich seit Jahren keine Zigarette mehr geraucht.

Ich bleibe bei meiner radikalen Entscheidung, und obwohl ich mich inzwischen wieder ganz als Nicht-Raucher fühle, bleibe ich wachsam und vorsichtig, weil ich weiß, daß eine einzige Zigarette ausreicht, um alles wieder zu nichte zu machen.

Ich betrachte mich im Bezug auf Zigaretten wie einen ehemaligen Alkoholiker, der nie wieder einen Tropfen Alkohol trinken darf, und genau so werde ich es auch mit der Pornographie machen.

Dieser Teil meines Lebens ist jetzt endgültig vorbei.

Jetzt fängt etwas neues an.



2. Keine Gedankenpolizei

Ich verbiete mir keinerlei sexuelle Gedanken oder Gefühle, und ich werde mich für keinerlei sexuelle Gedanken oder Gefühle bestrafen.

Ich werde jedoch trotzdem wachsam und vorsichtig meine Gedanken und Gefühle beobachten. Allerdings ohne sie zu bewerten.

Gedanken und Gefühle, die direkt oder indirekt auf Pornographie abzielen, werde ich anfangs auch einfach zulassen, ohne sie jedoch, wie früher, zu forcieren. Wenn sie auftauchen, werde ich sie akzeptieren, ohne mich gegen sie zu wehren oder sie als "sündhaft" zu verurteilen, und dann werde ich versuchen, bewußt an andere Sachen zu denken und mich abzulenken, und mir so Stück für Stück diese alte Denkgewohnheit abgewöhnen.


Einen anderen Ansatz halte ich für nicht praktikabel. Mein Ziel ist es nicht, im Zölibat zu leben, sondern meine natürliche Sexualität von Pornographie und zwanghaftem Verhalten zu befreien.

Ich habe es zwei, drei mal mit der Gedankenpolizei versucht, und mir tatsächlich jeweils über zwei, drei Wochen jegliche sexuelle Gedanken, Gefühle und Handlungen verboten und sie komplett unterdrückt, und das Ergebnis waren immer heftige Rückfälle, und daß ich in der Nacht so heftige sexuelle Träume bekam, wie nie zuvor. Für mich hat sich Abstinenz und Zölibat nicht als wirksam erwiesen.

Also: Keine Gedankenpolizei.



3. Vergeben und Vergessen


Ich werde mir jeden Rückschlag oder Rückfall sofort vollständig vergeben und verzeihen, und ich werde mich für keinen Rückschlag oder Rückfall verurteilen oder bestrafen.


Maßlose Reue, Verzweiflung, Selbstverurteilung, Selbstbestrafung, Selbsthaß usw. helfen nicht dabei die destruktive Gewohnheit der Sucht in eine konstruktive zu verwandeln, weil sie selber destruktiv sind.

Ein wichtiger Teil meines Weges werden also Vergebung und Verzeihung sein, und ich werde mir jeden Rückschlag oder Rückfall sofort völlig verzeihen und mich nicht dafür verurteilen oder bestrafen. Denn das bedeutet es, meiner Meinung nach, sofort wieder aufzustehen, und das ist die gesunde Basis für eine konstruktive, heilsame Veränderung.



4. Aussteigertagebuch

Ich werde jeden Abend zu einer festen Uhrzeit, nämlich 20:00 Uhr (oder früher) mindestens 15 Minuten Tagebuch führen.

In diesem Tagebuch werde ich meine Gedanken und Gefühle reflektieren, meine Fortschritte dokumentieren und auch meine Schwierigkeiten überwachen.


Am besten hatte ich meine Sucht vor zwei Jahren in den Griff bekommen. Ich hatte mir vorgenommen, wirklich nur einmal die Woche Pornos zu schauen und zu masturbieren, und es war mir für drei, vier Monate gelungen. In dieser Zeit habe ich auch täglich schriftlich über meine Gedanken und Gefühle reflektiert und die verschiedenen Versuchungen überwacht, die mich im Laufe des Tages angefallen haben. Das hat mir z.B. sehr dabei geholfen, bestimmte Auslöser für meine Sucht deutlicher zu erkennen.

5. Online-Freie Zone

Ich werde bei mir zu Hause für mindestens drei Monate, also bis mindestens Ende Mai, eine online-freie Zone einrichten.

Ich brauche das Internet nicht aus beruflichen Gründen und ich bin auch in keinerlei Online-Communities eingebunden. Daher brauche ich meinen Internet-Anschluß nicht zwingend.

Ich habe beschlossen, einmal die Woche ins Internet-Café zu gehen, um da meine E-Mails zu beantworten und andere wichtige Sachen zu erledigen. Dabei werde ich auch die Einträge aus meinem Tagebuch ins Forum hochladen.


Erst mal ganz auf's Internet zu verzichten wirkt natürlich auch wie eine radikale Entscheidung. Allerdings muß ich ehrlich dazu sagen, daß ich heutzutage eigentlich sowieso nur noch wenig im Netz bin. Ich zwinge mir da also nichts auf, unter dem ich sehr leiden würde. Es ist eher so, daß ich ein Stück meiner Bequemlichkeit aufgebe. Sicher ist es ein bißchen umständlich, E-Mails im Internetcafé zu beantworten. Aber mit ist es im Moment einfach viel, viel wichtiger, daß ich es wirklich schaffe von dieser Sucht loszukommen. Und ich glaube, da hilft es mir einfach, wenn ich auf Nummer Sicher gehe, so daß ich wirklich erst mal einen langen Zeitraum zwischen mich und die Sucht bringen kann. Denn das hilft mir, glaube ich, mehr Selbstvertrauen im Bezug auf meine Selbstkontrolle zu bekommen.

Oder anders gesagt: Erst mal geht es ja darum, daß ich das Sucht-Verhalten wirklich einstelle, so daß sich Körper und Geist wieder an einen Dauerzustand ohne Suchtmittel einstellen können.

Als ehemaliger Raucher war es für mich damals auch klüger, fürs erste den Kontakt zu anderen Rauchern zu meiden, also nicht auf irgendwelche Parties mit vielen Rauchern zu gehen. Und beim Kiffen war das natürlich erst recht so. Selbstverständlich habe ich aufgehört, mich mit anderen Kiffern zu treffen, als ich aufgehört habe. Inzwischen gehe ich natürlich auch wieder auf Parties, und es stört mich auch nicht, wenn die Leute da rauchen und kiffen. Aber ich mach trotzdem nicht mehr mit. Inzwischen kann ich ganz einfach "nein" sagen. Doch in der Anfangszeit wäre das nicht so einfach gegangen.

Also, erst mal kein Internet mehr für mich. Mindestens für drei Monate. Ich denke aber auch schon darüber nach, meinen Internet-Anschluß zu kündigen, und wirklich mal für ein ganzes Jahr ohne das Internetz auszukommen. Vielleicht sogar länger. Das wär vielleicht sogar sehr schön.

Das Leben in den Achtzigern war auch schön.

Auf jeden Fall will ich jetzt endgültig aus dieser Sucht aussteigen, und dabei will ich so sicher wie möglich gehen. Dafür verzichte ich gerne auf's Internet.



[Diesen Eintrag habe ich bis jetzt nicht mehr fertig bekommen. Ich werde ihn aber in den kommenden Wochen zu Ende schreiben.]






„Nicht der Beginn wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.“ - Katharina von Siena



"We become what we think about most of the time." - Earl Nightingale



26.02.2012 20:36:49  
Paul Milafehlende Rechte fehlende Rechte fehlende Rechte 
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Dienstag, 21. Februar 2012 - 3.Tag:


Mein dritter Tag ohne OSS.

Heute fühle ich mich schon nicht mehr so motiviert, wie noch am Sonntag abend. Das Alltags-Leben geht natürlich weiter. Aber ich weiß, daß dieses Gefühl zu einer Falle werden kann.

Ich habe den Eindruck, daß mir noch gar nicht ganz klar ist, daß jetzt endgültig Schluß ist mit der Online-Sexsucht. Ich spüre den klaren Schnitt, den ich gemacht habe, nicht so deutlich, wie ich dachte. Es fühlt sich noch genauso an wie vorher. Mit den Zigaretten damals war das anders. Da habe ich den Schnitt ganz deutlich gemerkt, weil ich körperliche Entzugserscheinungen hatte.

Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, daß so eine leise Stimme in meinem Hinterkopf mich noch damit beruhigen will, daß ich ja zur Not doch wieder auf meine alten Suchtmittel zurückgreifen kann, daß ich mich zur Not wieder daran festhalten kann. Das hatte ich bei den Zigaretten aber auch, glaube ich.


Ich werde mich aber nicht weiter an der Online-Sexsucht festhalten.

Ich werde davon loslassen.

Ich werde von dieser Krücke loslassen, und ich werde wieder lernen, ohne sie frei zu stehen und zu gehen.

Ich werde ein neues Leben leben.


Eigentlich ist mir ja auch klar, daß sich in so kurzer Zeit eigentlich kaum etwas verändert, und das ist auch gar nicht verwunderlich nach 15 Jahren Sexsucht. Wenn ich an die Zigaretten zurückdenke: Ich habe gut 5 Jahre geraucht, und rückblickend würde ich sagen, daß es nach dem Aufhören auch gut 5 Jahre gedauert hat, bis ich mich wieder als "Nicht-Raucher" gefühlt habe. Jetzt nach weiteren 4 Jahren fühle ich mich, als ob ich nie Raucher gewesen wäre. Rauchen fühlt sich fremd an. Erstaunlich, daß das überhaupt möglich ist. Als ich mit dem Rauchen aufgehörte, habe ich geglaubt, ich würde es immer vermissen. Doch heute vermisse ich es überhaupt nicht mehr, und es stört mich sogar wirklich, wenn Leute in meiner Nähe rauchen. So, wie es mich als Kind gestört hat.

Ich habe also 5 Jahre geraucht, und es hat 5 Jahre gedauert bis ich mich wieder als "Nicht-Raucher" gefühlt habe. Seit gut 15 Jahren bin ich nun sexsüchtig. Vielleicht wird es also auch in diesem Fall ganze 15 Jahre dauern, bis sich die letzten Reste dieser alten Gewohnheit auflösen, und vielleicht noch ein bißchen länger bis ich sie vergessen habe und mich wieder als "Nicht-Sexsüchtiger" fühle. Das wäre natürlich eine lange Zeit, und das wirkt fast etwas entmutigend. Aber so schlimm ist es ja in Wirklichkeit auch gar nicht.

Nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört hatte, habe ich schon nach zwei, drei Wochen ganz deutliche, positive Veränderungen verspürt, und auch in den Monaten danach, hat sich mein Empfinden immer weiter verbessert. Die emotionalen Schwankungen des Alltags sind natürlich nicht so einfach verschwunden. Doch ich lernte, ohne Zigaretten mit ihnen fertig zu werden.

Und hey, jetzt wird mir gerade bewußt: Genau so werde ich auch lernen ohne Sexsucht mit meinen emotionalen Schwankungen fertig zu werden! Das ist ein gutes Gefühl.

Ja, man muß sich einfach immer wieder an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.

Zu den Zigaretten fällt mir übrigens noch etwas ein: Kurz nachdem ich damals aufgehört hatte zu rauchen, etwa zwei Wochen später, verstarb ein Verwandter von mir. Nicht eng-verwandt, aber verwandt genug, als das mich sein Tod schockierte. Er war nicht besonders alt gewesen. Ich erinnere mich daran, daß ich eigentlich sofort nach dem Anruf daran dachte, daß es mir jetzt jawohl keiner übel nehmen würde, wenn ich jetzt eine rauchen würde. Ich meine, welche emotionale Belastung könnte schlimmer sein, als der Tod eines Verwandten? Aber in mir blitze Kampfgeist auf, und statt eine zu rauchen, habe ich das Argument einfach umgekehrt und mir gesagt:

"Wenn ich diese Situation bewältigen kann, ohne eine rauchen zu müssen, dann wird es in Zukunft keine Situation mehr geben, die ich nicht ohne Zigarette bewältigen kann."

Und es hat funktioniert.

Ja, so ist das. Je furchteinflößender die Situation ist, die wir bewältigen, desto größer ist das Selbstvertrauen, das wir dadurch bekommen, daß wir sie bewältigen.

Und je häufiger und regelmäßiger wir Situationen bewältigen, vor denen wir Angst haben, desto häufiger und regelmäßiger wächst natürlich auch unser Selbstvertrauen.

Es ist eigentlich so wie mit einem Konto. Jedes mal, wenn wir uns einer schwierigen Situation stellen, die uns verunsichert oder vor der wir Angst haben, wird wieder etwas auf unser Selbstvertrauens-Konto eingezahlt. Je schwieriger und furchteinflößender die Situation, desto größer die "Summe", die auf dieses Konto geht.

Dabei fällt mir etwas auf: Ich hatte damals Angst davor, nicht rauchen zu können. Ich hatte Angst davor, eben so wie man vielleicht Angst hat, ohne eine Krücke, ohne einen festen halt zu gehen. Ich hatte Angst davor, daß schwierige Situationen kommen würden, in denen ich "nichts" hätte. Wo ich in Leere greifen würde, wenn ich nicht rauchen könnte.

Ja, das beschreibt die Angst eigentlich sehr gut: Angst davor, ins Leere zu greifen.

Genauso geht's mir jetzt eigentlich mit der Sexsucht auch. Ich habe Angst vor diesen Situationen, in denen ich mit mir alleine bin, und es mich überkommt. Wo ich mit der Versuchung ringen muß.

Die meiste Angst habe ich dabei eigentlich davor, alleine in meiner Wohnung zu sitzen, und nichts zu haben. Ich stelle mir da so einen verregneten, grauen Tag vor, an dem ich alleine auf meinem Bett sitze, die weißen Wände anstarre, und obwohl ich der Versuchung widerstanden habe, greife ich eben irgendwie ins Leere.

Aber da muß ich wahrscheinlich einfach durch. Beim Rauchen ist dieses Gefühl ja auch verschwunden. Ja, wirklich. Beim Rauchen ist das Gefühl auch verschwunden.

In einem gewissen Sinne greift man ja auch ins Leere, wenn man sich ein Suchtverhalten abgewöhnen möchte. Das ist ja wirklich so, als würde man Jahre lang an einer Krücke gehen. Und plötzlich fehlt die Krücke, und mit jedem Schritt fällt man in ein kleines Loch, weil man gewöhnt ist, sich an der Krücke abzustützen. Das ist genauso, als würde man eine Treppe runtergehen, und plötzlich fehlt die letzte Stufe. Da fällt man dann auch in ein kleines Loch.

Man braucht eben eine gewisse Zeit, bis sich der Körper wieder daran gewöhnt hat, ohne die Krücke zu gehen, und bis er sich wieder dran gewöhnt hat, greift man eben immer wieder ins Leere. Wie bei einem Stolpern.



Tja, und ehrlich gesagt habe ich auch eine gewisse Angst davor, schwach und rückfällig zu werden. Das liegt, glaube ich, daran, daß ich schon so häufig versucht habe, davon loszukommen, und daß ich mir eigentlich schon so lange wünsche, davon loszukommen, und trotzdem niemals ganz erfolgreich war. Das erzeugt natürlich immer wieder negative Rückkopplungs-Effekte.

Mit jedem Scheitern wächst natürlich die Überzeugung, daß man es eigentlich gar nicht schaffen kann. Vielleicht sogar bis dahin, daß man anfängt, daran zu glauben, daß irgendwas nicht mit einem stimmt. Vielleicht fängt man an zu glauben, daß: "Ich, ich schaff das jedenfalls nicht." Oder: "Mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin ein besonderer Fall. Alle anderen können's vielleicht schaffen. Ich aber nicht", und wenn man erst mal angefangen hat, in diese Richtung zu denken, dann fängt man natürlich auch an, gewissermaßen nach Beweisen dafür zu suchen, daß man so ein spezieller, schwieriger Fall ist. Und man findet sie natürlich auch.

Aber ich glaube, das ist letztlich alles Unsinn. Es gibt keine hoffnungslosen Fälle.

Thomas Edison brauchte 10.000 Versuche, um die Glühbirne zu erfinden. Zehntausend! Man stelle sich das mal vor! Er hat nach hunderten von Versuchen noch nicht aufgegeben, und auch nach tausenden noch nicht, und dabei wußte er nicht einmal, ob es überhaupt möglich ist, so etwas wie eine Glühbirne zu bauen. Ich meine, wir benutzen heute so selbstverständlich Glühbirnen, und wir denken vielleicht: "Na ja, irgend jemand hätte schon früher oder später die Glühbirne erfunden..." Aber ich glaube, das ist ein Irrtum. Bloß weil die Glühbirne heute so selbstverständlich ist, heißt das nicht, daß sie "schon irgend jemand erfunden hätte". Nein, nicht irgend jemand, sondern ein ganz bestimmter Mann hat mit einem ungeheuren Durchhaltevermögen hat daran gearbeitet, daß die Glühbirne Wirklichkeit werden kann.

So, und wer kann nun ehrlich von sich sagen, daß er schon 10.000 mal ernsthaft versucht hat, von seiner Sexsucht loszukommen? Ich jedenfalls nicht. Aber ich glaube auch nicht, daß man so viele Versuche braucht. Der eine braucht vielleicht mehr Anläufe als der andere, aber deshalb ist er noch lange kein hoffnungsloser Fall.
Mir hilft es übrigens ungeheuer, wenn ich mir die Erfolgsgeschichten anderer Menschen anschaue. Zum Beispiel die Geschichte von diesem Drogenabhängigen der zum Iron Man geworden ist. Ich hab grad seinen Namen vergessen. Aber es gibt auch noch viele andere Geschichten von Menschen, die sich aus schwierigen Umständen erfolgreich freigekämpft haben. Solche Geschichte sind ungeheuer aufbauend und motivierend.

Ich kann nur empfehlen, sich mit solchen Geschichten zu beschäftigen.

Überhaupt glaube ich, daß es sinnvoll ist, sich in der ganzen Zeit, in der man sich von einer Sucht befreien möchte, mit so vielen positiven und optimistischen Sachen zu beschäftigen, wie es nur geht.

Und eigentlich sollte man das, glaube ich, sowie die ganze Zeit so machen.

Jedenfalls sollte man Sachen vermeiden, die einen noch zusätzlich runterziehen. Keine schlechten Nachrichten in der Zeitung lesen oder im Fernsehen schauen. Keine deprimierenden Filme sehen. Sich nicht mit negativen oder pessimistischen Menschen unterhalten oder treffen, und vor allem sollte man sich dafür hüten, sich von anderen Menschen ihre Probleme aufladen zu lassen. Sucht ist ein sehr ernsthaftes Problem, und man sollte auf keinen Fall unterschätzen, wie schwierig es teilweise ist, sich von einer Sucht zu befreien. Das ist erst mal Verantwortung genug.

[...]


bearbeitet von Paul Mila am 26.02.2012 20:42:16



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Dienstag, 21. Februar 2012 - 3.Tag:

[...]

Da braucht man nicht noch Verantwortung für die Probleme anderer zu übernehmen.

Eigenrettung vor Fremdrettung.



Puh, jetzt wollte ich nur eine Viertelstunde schreiben und es sind fast zwei Stunden geworden. Aber es tut gut darüber zu schreiben.

Ich merke, daß ich meine Gedanken ordnen kann, und so geordnet auf dem Bildschirm wirken meine Ängste und Zweifel schon weitaus weniger furchteinflößend.

Ja, ich fühle mich gut.

Alles Gute,
Paul






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26.02.2012 20:43:46  
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Mittwoch, 22. Februar 2012 - 4. Tag:

Heute morgen ist mir etwas klar geworden. Das ist mir eigentlich schon öfter mal klar gewesen. Doch ich habe es auch immer wieder vergessen.

Das Mißverständnis, mit dem ich mich lange Zeit immer wieder selbst getäuscht habe, ist, daß ich glaubte, daß das Kern-Problem der Sexsucht darin bestünde, daß ich meine sexuellen Triebe nicht im Griff hätte. Ich glaubte, daß Problem wäre, daß ich meine sexuellen Gefühle als Suchtmittel gebrauchen würde, und zum Teil ist das ja auch richtig. Aber heute ist mir noch mal klar geworden, daß gerade bei der Online-Sexsucht eben noch etwas anderes abläuft. Das Suchtmittel bei der Online-Sexsucht sind eben nicht nur die eigenen sexuellen Gefühle, sondern es findet noch eine zusätzliche Stimulation statt. Es gibt noch einen Extra-Kick.

Das, was ich bei mir selber immer wieder beobachtet habe, ist ein heftiges Rausch-Gefühl wenn ich damit anfange, mir Pornos anzuschauen. Eine heftige Gier, die auch eine gewisse Zeit anhält. Allerdings nie besonders lange. Ich würde sagen, schon nach den ersten 5 Minuten fängt sie an, sich zu verringern, und sie dauert maximal 15 Minuten. Danach tritt dieser Rausch, dieser Kick eigentlich nicht wieder auf. Auch nicht, wenn ich mir Stunden lang Pornos anschaue. Die sexuelle Lust steigt und fällt dann zwar immer wellenartig, daß heißt, ich erlebe dann auch zwischendurch wieder heftige Gefühle. Aber nicht mehr diesen Rausch, diesen Kick.

Wenn ich ohne äußere Stimulation masturbiere, habe ich diesen heftigen Rausch, diesen Extra-Kick nicht.

Heute morgen ist mir klar geworden, daß dieser heftige Rausch, dieser Kick vermutlich das ist, wonach ich süchtig bin. Gar nicht nach der Masturbation oder nach dem Orgasmus, sondern nach diesem heftigen Rausch am Anfang.

Wer mal geraucht hat, kennt das vielleicht auch von den Zigaretten. Das beste an der Zigarette sind die ersten zwei, drei Züge. Der kurze Rausch, der kleine Kick. Danach wird's eigentlich immer weniger interessant.

Dieser heftige Rausch ist auch nicht immer da. Als ich früher jeden Tag Pornos geschaut habe, war er nicht jedesmal dabei. Eigentlich sogar immer seltener.

Besonders heftig ist der Rausch vor allem dann, wenn ich mir eigentlich "verboten" habe, Pornos zu schauen. Nicht nur, daß ich mir vielleicht etwas erregendes anschaue. Nein, es hat auch wieder den Reiz des Verbotenen an sich.

... "wieder" ... an sich?

Habe ich mich vielleicht abhängig von dem Reiz des Verbotenen gemacht? Erzeuge ich vielleicht selber immer wieder unbewußt diese Wechseldusche von guten Vorsätzen und Rückfällen, damit ich bei den Rückfällen den Reiz, den Rausch des Verbotenen erleben kann?

Als ich damals anfing, mir Pornos anzuschauen, da war das ja alles noch irgendwie "verboten". Erst war es einfach so "verboten". Mir war ja klar, daß ich mir mit 15 oder 16 solche Sachen eigentlich nicht anschauen durfte. Es blieb aber auch verboten als ich volljährig wurde, weil ja immer das Risiko bestand, von irgend jemandem dabei erwischt zu werden. Ich hab's zwar lange gewohnheitsmäßig gemacht, aber doch immer irgendwie heimlich. Später dann habe ich selbst immer wieder den Reiz, den Rausch des Verbotenen erzeugt, in dem ich mir immer heftigere Pornos angeschaut habe, oder in dem ich Telefonsex-Hotlines angerufen habe, oder in dem ich andere Sachen gemacht habe.

Wenn ich so drüber nachdenke, dann fällt mir auf, daß ich eigentlich immer dieses Rausch-Gefühl erzeugt habe, und sobald es mir nicht mehr gelang, dieses Gefühl zu erzeugen, habe ich auch wieder mit den Sachen aufgehört. Mit Telefonsex habe ich z.B. irgendwann einfach aufgehört, weil es mir zu langweilig wurde. Es gab keinen Kick mehr. Und auch die heftigeren Pornos habe ich mir mit der Zeit immer seltener angeschaut, weil's nicht neues mehr war und eben auch nicht verboten.

Ich habe mir dann wieder mehr und mehr die softeren Pornos angeschaut, und tatsächlich hat mein "Geschmack" sich dann auch wieder zurückentwickelt. Ganz am Anfang waren mir viele der Hardcore-Sachen zu heftig und viele fand ich auch einfach eklig. Dann kam eine lange Phase, in der ich meine "Dosis" immer mehr gesteigert habe und mir auch Sachen reingezogen habe, die ich mir früher nicht angeschaut hätte.

Bis zu einem gewissen Grad mußte ich mich dazu zwingen. Ja, bis zu einem gewissen Grad habe ich mir da selber Gewalt angetan.

Inzwischen habe ich das Gefühl, daß da irgendwie auch ein gewisser Heilungsprozeß eingesetzt hat. Pornos sind nun wirklich nichts mehr neues für mich, und es gibt da auch nichts mehr neues für mich zu entdecken. Ich habe die Mechanismen durchschaut, nach denen Videos produziert werden, und ich habe vor allem die Mechanismus durchschaut, die in mir selber ablaufen. Es werden keine neuen Pornos mehr gemacht. Es sind alles nur noch Variationen von Variationen. Es gibt nichts mehr, was noch nie da war, und in Wirklichkeit gab es noch nie was, was noch nie da war. Doch weil ich jung war und keine Erfahrung hatte, wußte ich das nicht.

Nein, eigentlich hat es noch nie Pornos gegeben, in denen irgendwas gemacht oder gezeigt wurde, was nicht schon einmal von jemand gemacht oder gezeigt wurde. Seit Jahrtausenden haben die Menschen Sex, und seit Jahrtausenden haben sie alle möglichen Varianten der Sexualität entwickelt. Da ist schon lange nichts mehr neues bei, und es wird auch nichts neues mehr kommen.

Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, ist es, glaube ich, sehr hilfreich, wenn man sich klar macht, daß es im Grunde nichts mehr neues in der Sexbranche gibt. Wirklich nicht. Ich meine, jeder hier, der über Jahre Pornos geschaut hat, kann das doch bestätigen, oder? Irgendwann ist es doch alles das selbe, oder nicht?

Ich glaube, es hilft enorm, wenn man sich das mal in Ruhe klarmacht. "Hey, egal wie viele Videos du dir noch reinziehst, du wirst nichts wirklich neues mehr dabei finden. Du hast eigentlich alles schon gesehen, und das was du noch nicht gesehen hast, ist einfach nur eine Variation von dem, was du schon gesehen hast. Du kennst das alles. Du wirst da nichts mehr neues finden..."

Einzusehen, daß es nichts mehr neues bei den Pornos zu sehen gibt, hilft doch sehr dabei, von der Aufregung loszulassen, die mit der Sucht verbunden ist, dieser fiebrigen Aufregung, wenn man nach neuen Videos und Bildern sucht, oder wenn man sich vielleicht sogar noch die Mühe macht, sie ordentlich abzuspeichern. Diese krankhafte, fiebrige Besessenheit - dagegen hilft es doch, wenn man sich damit beruhigt, daß es in Wirklichkeit sowieso nichts neues zu sehen gibt. Nichts, was man nicht so oder anders schon mal gesehen hat.

Nichts mehr neues also, und nichts verbotenes...

Das einzige Verbotene, was noch übrig bleibt, wäre im gewissen Sinne der Rückfall.

Fällt es mir vielleicht deshalb so schwer aufzuhören, weil ich bei den Rückfällen "noch ein einziges, letztes mal" diesen geilen, heftigen Rausch erleben kann?

Bin ich also gewissermaßen süchtig nach Rückfällen?

Auf jeden Fall will oder wollte ich die Rückfälle ja in einem gewissen Sinne. Sonst wären sie nicht passiert. Denn, wenn ich sie überhaupt nicht gewollt hätte, wären sie auch nicht passiert.



Letztlich spielt es aber auch keine Rolle, wie komplex die Spielchen sind, die ich mit mir selber bisher gespielt habe. Es spielt keine Rolle, wie genau die Mechanismen in mir aussehen. Einerseits hilft es zwar, wenn man bestimmte Mechanismus und Muster erkannt und durchschaut hat. Andererseits kann das aber auch zu einer Ausrede werden.

"Ach, das ist eben mein Verhaltensmuster, und dagegen kann ich sowieso nichts tun."

In Wirklichkeit ist das einzige, was langfristig zählt, daß ich die Entscheidung getroffen habe, nie wieder irgendwelche Pornographie zu konsumieren. Wirklich nie wieder. Während ich das schreibe, dreht sich mir der Magen um. Wirklich nie wieder? Auch nicht in einigen Jahren vielleicht, wenn ich die Sache wieder besser im Griff habe? Nein, auch dann nicht. Ja, das macht mir wirklich ein mulmiges Gefühl.

Aber nur diese klare Entscheidung kann mir Kraft geben und mir helfen. Denn jetzt ist es eigentlich egal, warum und wieso ich in einer bestimmten Situation gerne Pornos schauen würde.

"Ist das jetzt meine Gewohnheit? Habe ich einen bestimmten Wochenzyklus? Wurde ich von diesem Film oder jenem Magazin dazu angeregt und verführt? Ist eigentlich die Gesellschaft schuld, die überhaupt Pornos zugänglich macht? Bin ich betrunken? Bin ich heute nicht zurechnungsfähig? Spiele ich das irgendwelche Spielchen mit mir? Bin ich besessen? Habe ich vielleicht wirklich einen Dämon in mir? Oder bin ich einfach total krank und pervers?"

Das spielt alles keine Rolle, denn es gibt nur noch eine Anweisung:

Ich konsumiere niemals Pornographie.

Und die einzig wichtige Frage, die danach übrig bleibt, ist nicht mehr: "Warum will ich Pornos gucken?", sondern nur noch: "Wie verhindere ich es, Pornos zu gucken?"

Wie verhindere ich es, Pornos zu gucken?

Damit Schluß für heute,
Paul






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26.02.2012 20:45:32  
Paul Milafehlende Rechte fehlende Rechte fehlende Rechte 
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Donnerstag, 23. Februar 2012 - 5. Tag:

Noch vorgestern habe ich geschrieben, daß ich noch keine Veränderungen merke, doch heute morgen ist mir aufgefallen, daß ich schon angefangen habe, in eine neue Richtung zu denken.

Mir gingen einige sexuelle Phantasien durch den Kopf, und dabei kam mir natürlich auch sofort in den Sinn, daß ich ja nun einen neuen Weg eingeschlagen habe, daß ich ja entschieden habe, endgültig völlig aus der Sexsucht auszusteigen. Damit will ich nicht sagen, daß ich mir in Zukunft meine sexuellen Phantasien verbieten will, denn das will ich ja nicht. Aber mir ist eben bewußt, daß ich vorsichtig sein muß, weil ich so stark daran gewöhnt bin in sexuellen Phantasien zu schwelgen, und das kann sehr schnell und plötzlich wieder in mein altes Verhalten umschlagen.

Ich habe hier in einigen Beiträgen auch in diesem Zusammenhang einen Vergleich mit Zigaretten gelesen. Daß es nicht sinnvoll ist, die ganze Zeit an Zigaretten zu denken, wenn man mit dem Rauchen aufhören möchte, und das halte ich für vollkommen richtig.

Ich habe die selbe Erfahrung auch beim Kiffen gemacht. Wenn man endgültig damit aufhören möchte, bringt es nichts, wenn man den alten Zeiten hinterher trauert, und sich ständig damit quält, daß man jetzt eigentlich doch lieber einen Joint rauchen würde. Das ist genauso unsinnig wie beim links abbiegen zu denken, daß man lieber rechts abbiegen würde. Es ist schlicht und einfach widersinnig. Ich will ja aufhören und nicht weitermachen. Ich will ja, daß ich keine Lust mehr habe, weiterzumachen.

Man muß auch aufpassen, daß man nicht ein falsches Verlust-Denken hineinrutscht. Mit dem Rauchen aufzuhören war kein Verlust. Im Gegenteil, es war eine riesige Erleichterung, und mein Leben hat sich dadurch nur verbessert. Mit dem Kiffen aufzuhören war auch kein Verlust. Das war eine noch größere Erleichterung, und dadurch hat sich mein Leben noch viel mehr verbessert, und ich meine damit: Ich habe seitdem mehr Freude und mehr Spaß im Leben! Nicht weniger davon.

Ich denke, man sollte also vermeiden, sich vorzustellen, worauf man verzichten muß, was man aufgeben muß, und was man verliert, wenn man aus der Sucht aussteigt, sondern man sollte seine Gedanken hoffnungsvoll auf den neuen, suchtfreien Weg richten, den man nun eingeschlagen hat, auf das neue, suchtfreie Leben. Man sollte sich darauf freuen, und sich mit Lust und mit ungehemmter, ungezügelter Phantasie jeden Tag aufs neue ausmalen, wie schön dieses neue Leben wird, und wie schön es sein wird, endlich frei von dieser Sucht zu sein.

Und das muß man üben. Ja, man muß es einfach üben. So wie man alles andere auch erst mal üben muß, wenn man es neu lernen will. Wer Schwierigkeiten mit solchem Optimismus hat, der sollte nicht verzweifeln. Wenn man über eine lange Zeit unter einer destruktiven Gewohnheit, wie zum Beispiel einer Sucht, gelitten hat, dann ist es normal, daß man dabei auch einen gewissen Pessimismus entwickelt hat.

Doch dieser Pessimismus ist erlernt!

Der Pessimismus ist ja ein Nebeneffekt der Sucht. Wir haben ja quasi mühsam gelernt, daran zu glauben, daß wir unser Verhalten nicht mehr aus eigener Kraft ändern können. Wir haben ja gelernt, daran zu glauben, daß wir hilflos sind, und das gute daran ist, daß wir auch das Gegenteil lernen können.

Ja, wir können lernen optimistisch zu sein!

Wir können üben und lernen, daran zu glauben, daß wir nicht hilflos sind, und daß wir die Kraft haben, uns zu dauerhaft verändern. Und das beste daran ist, daß wir das nicht nur üben können, sondern daß wir uns mit dieser Sichtweise und Einstellung wieder mehr an die Wirklichkeit annähern, denn kein Mensch ist in Wirklichkeit hilflos gegenüber seiner Sucht. Er hat sich gewissermaßen nur in eine falsche, irrtümliche Sichtweise verlaufen.

Optimismus ist also nicht nur lernbar, sondern er ist auch noch näher an der Wahrheit.

Wenn wir uns also von unserer Sexsucht befreien wollen, müßen wir vorsichtig mit sexuellen Phantasien sein, und wir müssen uns davor hüten, eine Sichtweise und eine Einstellung zu entwickeln, in der uns unsere Suchtmittel als etwas wertvolles erscheinen, und wir schmerzhaft auf sie verzichten müssen. Wir müssen uns davor hüten in den Glauben zu verfallen, daß unser Leben ohne unsere Suchtmittel trostlos und schrecklich wird. Denn das Gegenteil ist der Fall.

Das Leben ohne Sucht wird wundervoll.

Und das habe ich heute morgen gemacht. Als mir die sexuellen Phantasien durch den Kopf gingen, und ich mich daran erinnerte, daß ich ja vorsichtig sein muß, weil ich jetzt endgültig aus der Sexsucht aussteigen will, da habe ich ganz kurz daran gedacht, wie mühsam und schwer es sein wird, auf Pornos zu verzichten, und dann habe ich sofort gedacht: Nein, das ist Quatsch. Ich werde bald sehr erleichtert sein, weil ich frei von dieser Sucht bin, und dann werde ich nichts vermissen, dann werde ich daran denken, wie gerne ich mir jetzt einen Porno anschauen würde. Genauso wenig, wie ich jetzt, während ich dies schreibe, daran denke, daß ich jetzt gerne eine rauchen würde.

Nein, wenn ich überhaupt noch dran denke, werde ich denken: Gott sei Dank habe ich das endlich hinter mir.

Und das schönste heute morgen war, daß mir dabei bewußt wurde, daß ich ja auf meine sexuellen Phantasien gar nicht komplett zu verzichten brauche, und daß ich in Zukunft eine erfüllte Sexualität entwickeln werde, die kein zwanghaftes Suchtmittel ist.

Ja, das wird schön.



Aber ich bin auch nicht naiv. Bis dahin ist es möglicherweise noch ein langer Weg, und auf diesem Weg muß ich erst mal wachsam und vorsichtig bleiben. Es hilft nichts.

Ich habe beschlossen, damit anzufangen, mich jeden Morgen schriftlich daran zu erinnern, daß ich nun endgültig aus der Sexsucht aussteige. Ich werde mir jeden vor dem Frühstück mehrmals aufschreiben: "Ja, es ist wirklich vorbei. Ich steige endgültig aus der Sexsucht aus."

Einfach nur, um mich daran zu erinnern.

"Ja, stimmt ja! Ich hab ja einen neuen Weg eingeschlagen! Heute ist ein weiterer Tag ohne Sexsucht!"

In diesem Sinne,
Paul






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26.02.2012 20:46:46  
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Freitag, 24. Februar 2012 - 6. Tag:

Ja, es ist wirklich vorbei, es ist wirklich vorbei, es ist wirklich vorbei...

Ja, es ist wirklich vorbei. Ich lasse endgültig von der Sexsucht los. Ich streife sie ab. Ich lasse sie mir entgleiten. Ich lasse sie fallen.

Sie verwelkt, vergilbt und vertrocknet, wie Blätter im Herbst, und sie hört auf ein Teil von mir zu sein.

Ja, jetzt wo ich angefangen habe, offen darüber zu schreiben, spüre ich, wie sich in mir etwas löst. Ich habe aufgehört, die Sucht als ein Geheimnis in mir festzuhalten. Glaubte ich früher noch, ich würde mich selber schützen, wenn ich meine Sucht geheim halte, weiß ich heute, daß ich nicht mich selber, sondern nur die Sucht geschützt habe. So lange ich sie in mir geheim hielt, habe ich sie zu einem Teil von mir gemacht. Nun, wo sie langsam an die Oberfläche steigt und aus mir heraus dringt, scheidet sie sich ab von mir und hört auf ein Teil von mir zu sein.

Ich fange an, wirklich daran zu glauben, daß diese Sucht sich nun verflüchtigt, und daß sie in Wirklichkeit nie ein Teil von mir war. Früher habe ich mich so mit der Vorstellung gequält, daß ich irgendwie verkorkst wäre, daß ich tief in mir drin irgendwie verdorben wäre, und daß ich deshalb hilflos und machtlos gegenüber meiner Sucht wäre. Doch das ist nur ein Irrtum gewesen, eine falsche Vorstellung, in die ich mich verlaufen habe.

Ich habe jetzt eine klare Entscheidung getroffen. So, wie damals mit den Zigaretten auch. Und ich habe diese Entscheidung nicht nur für mich allein im stillen Kämmerlein getroffen, sondern ich habe sie zum ersten mal veröffentlicht, habe sie offen ausgesprochen. Ja... ich habe zum ersten mal öffentlich zugegeben, daß ich mit der Sexsucht ein ernsthaftes Problem habe, daß ich bisher nicht alleine bewältigen konnte.

Bisher verstecke ich mich zwar noch hinter einer gewissen Anonymität. Aber ich merke, daß ich alleine, weil ich hier im Forum so mehr oder weniger offen und ausführlich über meine Schwierigkeiten und Hoffnungen schreibe, daß ich allein deshalb schon viel in mir öffnet, daß sich eine neue Offenheit in mir entwickelt, und die Angst von anderen erwischt, ertappt oder entlarvt zu werden, sich langsam zu lichten beginnt.

Ich spüre, daß in mir, ganz klein und zart, ein gewisses Vertrauen zu wachsen begonnen hat. Ein Vertrauen darin, daß selbst wenn die kommenden Wochen und Monate oder Jahre noch mal schwierig werden sollten, selbst wenn ich in dieser Zeit noch einmal tief durch mich hindurch muß, selbst wenn ich noch mal viel und hart an mir arbeiten muß, daß es letztlich gut werden wird, daß ein wahrer Heilungsprozeß eingesetzt hat.

Und diese Prozeß hat wahrscheinlich sogar schon viel früher begonnen. Vor Monaten oder Jahren, und erst jetzt wird er langsam so stark, daß er spürbar für mich wird, und sichtbar nach außen hin ausbricht.

Ach, wie schön wird das sein, wie befreiend, wenn ich erst ganz offen und frei über diese Sachen sprechen kann!

Wie schön und befreiend wird es sein, wenn ich sagen kann: "Ja, ich hatte eine Zeit lang große Schwierigkeiten mit Sexsucht, sogar ziemlich lange, und ich bin dabei teilweise auch ziemlich tief gesunken. Ja, das stimmt... Aber das ist jetzt vorbei... das ist jetzt schon ein paar Jahre her... das war damals, vor 20 Jahren... ich hatte es schon fast vergessen." Ja, das wird schön.

Nein, ich bin nicht diese Sucht, und ich war nie diese Sucht.

Weise ich damit Verantwortung zurück? Nein, sicher nicht. Ich war süchtig, und ich bin noch süchtig, und ich war und bin es, weil ich zu oft die falschen Entscheidungen getroffen habe. Ich trage die volle, ganze Verantwortung dafür. Aber ich bin trotzdem nicht diese Sucht, und diese Sucht ist kein Teil von mir.

Sie hat mich für eine gewisse Zeit meines Lebens begleitet, und sogar in dieser Zeit, hat sie nicht mein ganzes Leben ausgemacht, sondern nur einen Teil davon, und dieser Teil war in Wirklichkeit nicht so groß, wie ich lange Zeit geglaubt habe. Ich habe mir nicht von 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche Pornos angeschaut oder meine Sexsucht mit anderen Mitteln gefüttert.

Die meiste Zeit in den letzten 15 Jahren habe ich mit etwas anderem als Sexsucht verbracht.

Warum betone ich das so? Warum ist mir das so wichtig?

Weil das bedeutet, daß ich mich nicht über meine Sexsucht definieren muß. Ich muß mich nicht damit quälen, daß ich mich auf mein Suchtverhalten reduziere, daß ich ein verzerrtes Selbstbild von mir aufrecht erhalte, in dem die Sexsucht so eine große Rolle spielt.

Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man daran glaubt, daß man von Natur aus zu einem bestimmten Verhalten neigt, oder ob man daran glaubt, daß ein bestimmtes Verhalten eine Gewohnheit ist, die aus vielen Einzelentscheidungen entstanden ist.

Glaube ich daran, daß ich von Natur aus zu Suchtverhalten neige, daß ich eine sogenannte addiktive Persönlichkeit habe, dann gebe ich meiner Sucht eine große Macht über mich, und ich stelle damit die Weichen für weiteres Suchtverhalten. Denn mit einer "addiktiven Persönlichkeit" habe ich ja eine universelle Ausrede und Entschuldigung für alle zukünftigen Rückfälle. "Ich bin halt so...", und damit werde ich zu einem Opfer meiner "natürlichen Veranlagung".

Wenn ich jedoch statt dessen daran glaube, daß meine Sucht im wesentlichen eine Gewohnheit ist, die aus vielen einzelnen Fehlentscheidungen entstanden ist, dann habe ich wieder das Steuer in der Hand, denn die Entscheidungen treffe ich alleine, und auch wenn das sicher nicht immer leicht ist, so liegt es doch trotzdem in meiner Macht.

Und was noch hinzu kommt ist das Problem der selbsterfüllenden Prophezeiung. Wenn ich mir immer und immer wieder selber sage, daß ich versagen werde, dann programmiere ich mich so, daß ich tatsächlich versagen werde. Und wenn ich der Sexsucht in meinem Selbstbild eine große Rolle einräume, wenn ich mich selber als einen Sexsüchtigen sehe, wenn ich mich selber über meine Sexsucht definiere, dann programmiere ich mich damit auch, und ich werde in Zukunft dafür sorgen, daß ich diesem Selbstbild gerecht werde.

Statt mich als Sexsüchtigen zu sehen, also als jemand, der die Eigenschaft hat sexsüchtig zu sein, sollte ich mich besser als einen Menschen betrachten, der vorübergehend unter Sexsucht leidet, einer Gewohnheit.

Wir sind alle nicht als Sexsüchtige zur Welt gekommen. Genauso wenig wie andere als Raucher, Alkoholiker oder Drogenabhängige zur Welt gekommen sind.

Sicher, wir haben von Natur aus einen starken Sextrieb, und, anders als Raucher, Alkoholiker und Drogenabhängige, haben wir als Sexsüchte natürlich die Schwierigkeit, daß wir diesen starken natürlichen Trieb mit künstlichen Suchtmitteln überlagert haben. Wir haben uns selber so stark mit diesen künstlichen Suchtmitteln verwirrt, daß wir nicht mehr klar unterscheiden können zwischen dem natürlichen Trieb und der Sucht.

Diese Verquickung der beiden Sachen erzeugt vielleicht auch den Eindruck, daß die Sexsucht so stark in uns verwurzelt ist. Wir haben von Natur aus einen starken Sextrieb, und weil dieser natürliche, normale Sextrieb für uns zu einem Auslöser für unser Suchtverhalten werden kann, und weil unser künstliches Suchtverhalten und das echte, natürliche Sex-Verhalten sich so täuschend ähnlich anfühlen, entsteht der komplexe Irrtum in uns, daß wir gewissermaßen eine starke, natürliche Veranlagung zur Sexsucht haben.

Ja, der sexuelle Trieb ist natürlich sehr stark, und wenn man auch als zukünftiger ehemaliger Sexsüchtiger nicht auf Sex verzichten will, dann muß man sich mit Sicherheit darauf einstellen, daß man noch lange Zeit damit beschäftigt sein wird, die eigene, natürliche Sexualität von der Sucht zu entwirren.

Ich habe mir gerade in den letzten Tagen zum Beispiel wieder häufig die Frage gestellt: "Hätte ich solche Phantasien jemals entwickelt, wenn ich mir niemals im Leben Pornos angeschaut hätte?" Und die Sexualität, die ich mir für die Zukunft erhoffe. Ist das überhaupt meine eigene, natürliche Sexualität? Oder sind meine Phantasien und Sehnsüchte nicht noch allesamt Ausgeburten tiefster Sexsucht?

Wenn ich 30 Jahre alt bin, und mir seit 15 Jahren alle möglichen Pornos anschaue, gibt es dann überhaupt irgend etwas an meiner Sexualität, das nicht davon beeinflußt und eingefärbt ist?

So gesehen wird mich meine Sexsucht wahrscheinlich noch lange, nachdem ich sie abgelegt habe, beeinflussen. Und wahrscheinlich ohne daß es mir bewußt ist.

Vermutlich wird sich das eine nie wieder ganz von dem anderen trennen, und ich werde nie wieder mit Sicherheit sagen können, was natürlich ist, und was sich aus der Sucht entwickelt hat. Aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig. Denn letztlich geht es ja vor allem darum, daß ich ein Verhalten ablege, daß mir und anderen schadet. Ich habe zum Beispiel einen Socken- und Fußfetisch. Ich kann nicht mehr sagen, ob der vor der Sexsucht auch schon da war, oder ob er sich auch ohne sie entwickelt hätte. Aber das ist in diesem Fall auch total unwichtig.

Oder nicht?

Ich möchte diesen Beitrag damit schließen, daß ich mich bei aller Vorfreude und allem Optimismus wieder daran erinnere, daß ich meine Sexsucht verflucht ernst nehmen muß. Aus einer Sucht auszusteigen heißt vor allem eins: Sich gründlich mit sich selbst auseinanderzusetzen und hart an sich zu arbeiten.

Man darf keinerlei Selbstkonfrontation aus dem Weg gehen.

Allzu leicht kann es passieren, daß man sich mit großer Vorfreude viele Hoffnungen macht. Doch weil man die Selbstkonfrontation, weil man der Auseinandersetzung mit sich selbst im entscheidenden Moment aus dem Weg geht, versinkt man wieder in den alten Selbsttäuschungen.

Und was ist die größte und entscheidenste Selbsttäuschung aller Süchtigen?

"Ich hab's unter Kontrolle."



Ich habe meine Sexsucht nicht unter Kontrolle.

Und deshalb steige ich aus.
Paul






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26.02.2012 20:48:05  
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Samstag, 25. Februar 2012 - 7. Tag:

So, die erste Woche ohne Sexsucht / Online-Sexsucht ist rum.

Ich fühle mich gut. Ich freue mich, bin hoffnungsvoll und optimistisch.

Aber mir ist auch bewußt, daß mir noch viel Arbeit bevorsteht. Bisher wurde ich ja noch nicht wieder auf die Probe gestellt, und vor der ersten Situation, in der ich mich mit der Versuchung auseinandersetzen muß, ist mir ehrlich gesagt doch ein kleines bißchen bange.

In anderen Bereichen meines Lebens gehe ich zur Zeit übrigens sehr lässlich mit mir um. Ich versuche mir nirgendwo anders unnötigen zusätzlichen Druck zu machen. Zum Beispiel esse ich in letzter Zeit wieder etwas mehr Süßigkeiten als sonst. Ich merke auch, daß mir das nicht unbedingt gut tut. Aber ich will dem inneren Schweinehund ein paar Knochen hinschmeißen, damit er ruhig bleibt.

Bei aller Lässlichkeit muß ich aber auch vorsichtig bleiben. Mir ist in der Vergangenheit aufgefallen, daß schlechte Angewohnheiten sich gegenseitig unterstüzen. Ich esse zum Beispiel gern, und wenn ich mich in diesem Bereich stark gehen lasse, dann merke ich, daß ich damit auch die Sexsucht "einlade". Auch wenn ich zum Beispiel meine Wohnung länger nicht gründlich aufgeräumt habe, merke ich, daß mich das runterzieht.

Je unausgeglichener ich im allgemeinen bin, desto leichter greife ich zu Suchtmitteln.

Denn je unausgeglichener ich bin, desto schlechter fühle ich mich, und desto eher suche ich nach einer Form der Kompensation. Früh schlafen gehen, gesund essen und Sport treiben sind also auch eine gute Vorbeugung gegen Rückfälle.

Wenn es mir im allgemeinen gut geht, dann habe ich auch keine Lust, mich von meiner Sucht runterziehen zu lassen.

Ja, und ich denke, man sollte sich auch eine Menge Spaß gönnen, wenn man die Sucht überwinden will. Denn wenn man viel Spaß hat, dann braucht man eben auch nicht mit der Sucht zu kompensieren.

In diesem Sinne,
Paul






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26.02.2012 20:48:55  
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Sonntag, 26. Februar 2012 - 8. Tag:

Es ist Sonntag. Mein Online-Tag. Das heißt, heute geh ich ins Internet-Café und lade die Tagebucheinträge aus dieser Woche hoch.

Komisch, gerade gestern habe ich mich selber daran erinnert, daß schlechte Gewohnheiten sich gegenseitig unterstützen, und heute spüre ich es ganz deutlich. Ich habe zu wenig geschlafen, Fast Food und Süßigkeiten gegessen. Jetzt fühle ich mich müde und schlapp, und ich merke, daß sich in meinem Hinterkopf tatsächlich sofort wieder Gedanken an Pornos regen. Ja, wirklich. So Gedanken wie: "Na ja, ein einziges, allerletztes mal könnte ich ja noch", und diese Gedanken habe ich in dem Sinne gar nicht "heraufbeschworen", sondern sie sind mir blitzartig in den Sinn geschossen. Ich habe auch sofort wieder den Reiz des Verbotenen gespürt. Gerade jetzt, wo ich endgültig aussteige, sind Pornos natürlich auf einmal wieder richtig doll "verboten".

Ja, Sonntag Abend. Da fühle ich mich manchmal auch ein bißchen allein. Die Woche ist zu Ende, der Tag geht zur Neige, die Sonne geht unter und es wird dunkel. Und ich sitze allein in meiner Bude... Da fühlt man sich schon mal allein. Und wenn man dann noch schlapp und müde ist, dann fühlt man sich natürlich irgendwie noch mal extra allein. Ja... und irgendwie auch leer. Da ist sie wieder, die Leere, von der auch andere hier im Forum schon geschrieben haben. Und damit verbunden ist diese Angst ins Leere zu greifen.

Das ist natürlich mit einer gewissen Frustration verbunden, und Frustration ist, nach meiner Erfahrung, einer der Haupt-Auslöser für die Sucht. Wie gesagt, wenn's mir sowieso gut geht, dann brauche ich meine Sucht ja eigentlich gar nicht, dann will ich mich ja gar nicht von meiner Sucht runterziehen lassen.

Doch wenn ich sowieso schon unten bin, dann denke ich natürlich schnell: "Das macht jetzt auch keinen Unterschied mehr."

Ja, so ist es tatsächlich, glaube ich. Weil man sich eigentlich sowieso schon scheiße fühlt, nimmt man es billigend in Kauf, daß man sich nach dem Rückfall noch beschissener fühlt. Und vor diesem Rück-Fall, vor diesem Absturz, holt man sich ja noch mal einen heftigen Kick ab.

Dabei wird mir gerade etwas wichtiges bewußt, glaube ich.

Um endgültig aus einer Sucht auszusteigen, muß man lernen, die eigenen schlechten Empfindungen und Emotionen, die man hat, einfach auszuhalten, statt sie mit groben und heftigen Reizen zu überdecken. Im Leben werden wir ja jeden Tag auf's neue mit Höhen und Tiefen konfrontiert, und häufig sind wir nicht auf die Wechsel zwischen den vorbereitet. Sie treffen uns plötzlich und überraschend. Aber selbst, wenn sie uns nicht überraschend treffen, müssen wir uns mit den Tälern auseinandersetzen. Mit den Höhen brauchen wir uns ja nicht auseinandersetzen. Dann geht's uns ja sowieso gut.

Ich glaube, daß Problem ist, daß wir als Menschen mit Suchtproblemen verlernt haben, einfach durch die Täler hindurchzugehen. Wann immer uns bewußt wird, daß wir von einer Höhe im Leben wieder ins Tal hinabsteigen müssen, kriegen wir es mit der Angst zu tun. Wir wollen nicht, daß die guten Gefühle, die wir hatten, zu Ende gehen. Wir merken aber, daß sie sich dem Ende neigen, und um zu verhindern, daß wir uns ganz schlecht fühlen, greifen wir zu irgendwelchen starken, heftigen Suchtmitteln, mit denen wir unsere unangenehmen Gefühle überdecken können. So als würden wir sie einfach mit einer kräftigen Farbe übermalen wollen.

Daraus entstehen aber zwei Probleme:

1. Wir verlernen, unsere unangenehmen Gefühle und Emotionen einfach auszuhalten, und trotz diesen Gefühlen weiterzumachen. Wir verlernen, durch die Täler des Lebens ohne Krücken hindurchzuschreiten.

2. Wir verlängern und vertiefen die Täler. Wenn wir nach einer Höhe im Leben wie abwärts ins Tal steigen müssen und, statt einfach hindurch zu gehen, nach Suchtmitteln greifen, um unsere unangenehmen Empfindungen zu überdecken, dann schießen wir uns damit ja noch einmal künstlich in die Höhe. Das heißt, eigentlich sind wir schon am (natürlichen) Gipfel angekommen. Wir wollen aber noch nicht wieder runter, also schießen wir uns noch mal ein bißchen höher. Dadurch haben wir noch mal für eine kurze Zeit ein gutes Gefühl, doch dann geht's abwärts, weil der Abstieg nicht nur tiefer, sondern auch steiler wird. Wenn wir uns dann aber immer noch vor dem Abstieg wehren wollen und immer heftigere Suchtmittel benutzen, dann wird das Tal immer tiefer und der Abstieg immer steiler, bis es letztlich kein Abstieg mehr ist, sondern ein Absturz.

Und die Landung ist dann ziemlich hart.

Wenn ich also dauerhaft aus meiner Sucht aussteigen will, muß ich lernen, die Täler so zu nehmen wie sie kommen. Ich muß lernen, mich mit meinen schlechten Gefühlen und Emotionen auseinanderzusetzen und sie schlimmstenfalls einfach auszuhalten. Denn eins ist sicher:

Durch die Täler müssen wir auf jeden Fall durch. Früher oder später.

Egal, wie lange wir es vielleicht hinauszögern können, irgendwann geht's abwärts, und ich glaube, ein gutes Stück Lebenskunst besteht darin, daß man mit zunehmender Reife mit immer weniger Widerstand schnell und zügig durch die Täler des Lebens hindurchgeht, so daß man sie schnell hinter sich hat.

Als Süchtiger sollte man sich auf jeden Fall klar machen, daß keinerlei schlechte Gefühle und Emotionen ewig andauern. Jedem von uns fällt mit Sicherheit schnell ein Erlebnis oder eine Phase ein, unter der als Kind oder Jugendlicher stark gelitten hat, und jetzt als Erwachsener hat er dieses Erlebnis, die Phase und vor allem das Leid schon lange vergessen.

Irgendwann scheint die Sonne schon wieder. Egal wie schlimm es ist. Es geht vorüber.

Und mit den Suchtmitteln dauert es nur länger bis es vorüber geht und die Sonne wieder scheint.

Damit beende ich den Eintrag für diesen schlappen und müden Sonntag Abend.



Ich werde die Einträge dieser Woche gleich im Internet-Café hochladen.

Ich danke allen Lesern für ihre Aufmerksamkeit. Ich danke euch auch im voraus für alle Tips und Anregungen, und für alle Kommentare. Wenn für Euch was hilfreiches dabei ist, freue ich mich um so mehr.

Ich habe mich ja zu Hause in meine online-freie Zone zurückgezogen, und ich werde planmäßig nur einmal die Woche, nämlich am Sonntag, ins Internet-Café gehen, um meine Einträge hochzuladen. Wundert Euch also bitte nicht, wenn ich Euch auf gewisse Sachen nicht sofort antworte.

Ich wünsche Euch eine erfolgreiche suchtfreie Woche,
Paul






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26.02.2012 20:51:35  
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Sonntag, 4. März 2010:

Zu Hause auf meinem Rechner liegen die Einträge der letzten sechs Tage bereit. Ich hab's nur heute nicht mehr geschafft, sie mit ins Internetcafé zu bringen.

Das werde ich nächsten Sonntag nachholen.

Heute war ein schöner Tag. Ich habe mich von morgens bis abends mit Freunden getroffen, und die Sucht hat heute tatsächlich keine Rolle gespielt.

Deshalb werde ich heute auch nicht mehr schreiben.

Alles Gute,
Paul

P.S. Eine Sache noch: Es freut mich immer wieder, wenn ich daran denke, daß ich diese Sache nun endlich in Angriff genommen habe.




bearbeitet von Paul Mila am 04.03.2012 22:19:46



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04.03.2012 22:18:04  
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Montag, 27. Februar 2012 - 9. Tag:

Heute vormittag habe ich das erste mal deutlich wieder meine Sucht gespürt. Ich hatte gestern abend meine Einträge der letzten Woche im Internetcafé hochgeladen, und in einer der Antworten hatte Gabriele mir vorgeschlagen, Mitglied im Verein zu werden, damit ich freien Zugang zum Bereich der Ausstiegstagebücher hätte. Das Internetcafé schloß aber um die Zeit, und meine Adresse zusammen mit meinen Kontodaten wollte ich sowieso nicht an einem öffentlichen Computer angeben. Also habe ich heute vormittag ein letztes mal kurz mein Modem vom Dachboden geholt, um meinen Aufnahmeantrag rauszuschicken.

Das war das einzige, das ich machen wollte.

Dann habe ich noch mal schnell Online-Banking gemacht, weil das kann ich ja zur Zeit auch nicht machen, und dann war ich eigentlich wirklich fertig. Doch irgendwie wollte ich noch nicht wieder aufhören. Ich hab dann noch mal kurz bei Amazon reingeschaut, und auch noch mal zwei, drei andere Seiten angesteuert, und dann habe ich wirklich ausgemacht.

Ich habe mir keinerlei Pornoseiten angeschaut. Nicht mal entfernt.

Aber ich habe die ganze Zeit gespürt, daß mir da was im Hinterkopf sitzt. So eine gewisse nervöse Aufregung, so ein leises, aber scharfes: "Ich könnte ja."

Das Modem habe ich dann sofort danach wieder auf den Dachboden gebracht, und ganz weiten hinten tief verstaut. Mit solchen Aktionen muß ich natürlich vorsichtig sein. Nicht, daß ich mir damit eine Dauer-Ausrede schaffe, wie: "Ach, Online-Banking muß schon sein. Also kann ich das Modem auch regelmäßiger wieder vom Dachboden holen." Nein, ich werde meine Bankgeschäfte vorerst anders regeln müssen. Früher ging das ja auch.

Nach heute Vormittag habe ich übrigens nicht weiter an meine Sucht gedacht, und ich habe mich sogar darauf gefreut, heute abend Tagebuch zu führen. Es ist zwar ein Offline-Tagebuch, aber ich fühle mich trotzdem mit dem Forum verbunden, und das gibt mir das Gefühl, daß das, was ich schreibe, nicht sinnlos ist. Selbst wenn es keiner lesen sollte. Das entscheidende ist ja, daß ich meine Fortschritte öffentlich "meßbar" mache, richtig?

Dabei fällt mir etwas ein, daß mir in den letzten Tagen schon häufig eingefallen ist. Nämlich, daß die Anonymität, durch die man hier im Forum geschützt wird, eine große Chance für die Wahrheit ist.

Eine große Chance für die Wahrheit.

Ich habe das Gefühl, daß ich mich hier langsam daran tasten kann, offen über meine Sucht zu sprechen, und dabei tatsächlich die Wahrheit zu sagen. Denn auch hier im Forum ist es natürlich verlockend, sich hinter Halbwahrheiten zu verstecken. Ich hab mir z.B. für heute Abend ein paar DVDs ausgeliehen, und beim Ausleihen sind mir zwei, drei Filme aufgefallen, auf die ich angesprungen bin, weil da vor allem hübsche Frauen zu sehen waren. Das ist ja auch kein Problem. Aber ich habe mir ja eine in einem meiner ersten Beiträge eine klare Definition von Pornographie geschaffen, und alles was darunter fällt will ich ja vermeiden.

Was ich damit sagen will, ist: Ein Erotik-Thriller ist z.B. kein Porno. Ich glaube aber, daß ich mich trotzdem selber belügen würde, wenn ich mir einen solchen Film anschaue, denn das, was ich damit füttern möchte, ist eigentlich immer noch meine Sucht.

Ich denke, es ist sehr wichtig, da klare Verhältnisse zu schaffen, um sich jede Möglichkeit für Halbwahrheiten und Selbsttäuschungen zu nehmen. Vielleicht bin damit etwas zu streng. Aber gerade am Anfang bin ich lieber etwas zu streng. Aber vorher war ich ja deutlich zu lasch. Also probiere ich es jetzt erst mal mit einer klaren Gegen-Richtung.

Keine faulen Kompromisse.

Ich bin bereit, mir ernsthaft Mühe zu geben und mich hart anzustrengen, aber ich will dann auch, daß wirklich endgültig Schluß ist, und ich nicht in ein paar Jahren wieder von vorne anfangen muß. Wenn ich Raum für faule Kompromisse lasse, dann holt mich das später wieder ein.

Also, reinen Tisch.

Ein große, eine kostbare Chance für die Wahrheit.



Übrigens hilft das Schreiben wirklich enorm dabei, mich selber zu reflektieren und meine Gedanken zu ordnen.

Es ist halt "auf Papier denken".


Alles Gute,
Paul






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07.03.2012 19:55:58  
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Dienstag, 28. Februar 2012:


Ich hatte heute ein langes, intensives Gespräch mit einem Freund von mir. Er ist ein ganz anderer Mensch als ich, und er sieht alles aus einer ganz anderen Perspektive. Dadurch hilft er mir sehr dabei, viele Sachen ganz neu und anders zu betrachten. Er spiegelt mich auch auf eine Weise, die ich selber nicht hinkriege, und er ist bei all dem sehr offen und ehrlich, authentisch und wahrhaftig.

Offen und ehrlich, authentisch und wahrhaftig. Das bin ich nicht.

Das ist mir heute in diesem Gespräch wieder bewußt geworden. Ich bin zum Beispiel ein sehr wortgewandter Mensch. Ich habe viele Jahre damit zugebracht viele schlaue und raffinierte Bücher zu lesen, und ich habe in meinem Leben viel geredet und geschrieben.

Aber ich habe vielleicht nicht viel damit gesagt.

Auch während ich dies hier aufschreibe, merke ich, daß es meine Gewohnheit ist, daß ich eigentlich mehr darauf achte, daß das, was ich schreibe, intelligent oder raffiniert formuliert ist, daß es stil- und treffsicher ist, daß es intellektuell und rational "korrekt" ist, oder irgend eine geistige Pointe enthält. Statt in mich hineinzugehen, in mich hineinzufühlen, und herauszufinden, was ich wirklich empfinde und was ich wirklich aussprechen möchte.

Oder anders gesagt: Statt heraus-zu-finden, was aus mir heraus möchte.

Einerseits habe ich in den vielen Jahren gelernt, mich immer genauer auszudrücken. Doch andererseits habe ich auch gelernt, mich und andere Menschen in sprachliche Irrgärten zu entführen, wenn es darum geht, über die Sachen zu sprechen, die mich wirklich bewegen, wenn es darum geht, was ich wirklich denke und fühle. Ich kann dann sehr lange, umfangreich und ausdauernd reden oder schreiben, und nehme damit dem anderen gewissermaßen den Raum, in dem er selbst sich entfalten könnte. Auf diese Weise kann ich unter anderem vermeiden, daß der andere etwas sagt, mit dem ich nicht übereinstimme oder das mir unangenehm wäre. So wie eine unangenehme Wahrheit zum Beispiel.

Manchmal bin ich vielleicht auch nicht so offensiv, sondern entführe mich und den anderen in Nebensätze und Verschachtelungen, eben in ein sprachliches Labyrinth, in denen ich dann vielleicht sogar selbst den Faden verliere und nichts mehr auf den Punkt bringen kann. Doch nicht nur, daß es mir dabei schwer fällt ausdrücken, was ich denke. Nein, ich spreche vor allem nicht über das, was ich fühle. Und das hängt, glaube ich, damit zusammen, daß ich geistig und intellektuell eine Sicherheit und Souveränität vortäuschen kann, die ich gefühlsmäßig und emotional gar nicht habe. Ich kann auf rationale und theoretische Weise über meine Gefühle sprechen, und mich so darstellen, als hätte ich die komplette Übersicht und Kontrolle. Aber es fällt mir ungeheuer schwer, ganz einfach das auszusprechen, was mir auf dem Herzen liegt.

Ich habe verlernt, einfach auszusprechen, was mir auf dem Herzen liegt.

Ich merke sogar sehr deutlich, wie ich im Grunde mit dem Denken nach einer Möglichkeit suche, gerade nicht das auszusprechen, was mir auf dem Herzen liegt, sondern statt dessen einen Weg zu finden versuche, wie ich elegant darum herum rede, wie ich es überspielen, oder wie ich davon ablenken kann.

Ich spüre, daß ich Angst davor habe, einfach auszusprechen, was mir auf dem Herzen liegt.

Ich bin nicht offen und ehrlich, authentisch und wahrhaftig, weil ich Angst davor habe, und ich schreibe jetzt so offen darüber, weil mir in den letzten Tagen bewußt geworden ist, daß ich Gefahr laufe, hier eine kostbare Möglichkeit zu verpassen. Nämlich offen und ehrlich über das zu schreiben, was mich bewegt.

Wenn ich das nicht mal hier wage, wo ich weitestgehend anonym bin. Wie soll ich es denn jemals im wirklichen Leben hinkriegen?

Ich habe gleich zu Anfang so viel geschrieben, und dabei wurde mir bewußt, daß ich eigentlich schon wieder nicht ehrlich über das schreibe, was ich wirklich empfinde, sondern mit den vielen Worten und Sätzen wieder versuche so ein sprachliches Labyrinth zu erzeugen, hinter dem ich mich zu verstecken versuche.

Ich glaube, daß diese Angst davor, offen und ehrlich, authentisch und wahrhaftig zu sein, ganz eng mit der Sucht verknüpft ist, und daß die Sucht möglicherweise sogar die Haupt-Ursache ist.

In den ersten Einträgen dieses Tagebuchs habe ich eigentlich das erste mal in meinem Leben damit angefangen, mehr oder weniger offen über meine Sexsucht zu sprechen. Ich habe im vergangenen Frühjahr eine Psychotherapie angefangen, die zur Zeit gewissermaßen ruht. Den Therapeuten habe ich im Fragebogen über meine Probleme mit der Sexsucht informiert, und wir haben das Thema auch schon ein paar mal angesprochen. Doch wir sind bisher nicht ausführlich in das Thema eingestiegen, und sonst habe ich eigentlich auch noch nie mit jemand anderem klar und offen darüber gesprochen.

Doch schon jetzt, nach einigen Tagen, merke ich, wie befreiend es ist, darüber zu schreiben, und gerade deswegen will ich ja nicht die Möglichkeit versäumen, mich wirklich zu befreien, in dem ich auch wirklich über das schreibe, was ich auf dem Herzen habe.

Ich spüre, daß sich in den letzten Tagen schon eine Menge in mir gelöst hat, und es tut gut, das auszusprechen, was mir auf dem Herzen liegt. Ruhig dasitzen, in mich hineinfühlen, und dann einfach das aufschreiben, was ich empfinde, ohne lange darüber nachzudenken, was und wie ich es aufschreiben soll, und ohne viel den Kopf dazwischenzuschalten.

Das erzeugt eine sehr schönes Gefühl von Einheit und Verbundenheit in mir. Und auch von Leichtigkeit.

Aber da ist trotzdem noch eine große Angst, und durch das Gespräch mit meinem Freund, von dem ich anfangs berichtet habe, ist mir heute eben auch klar geworden, daß diese Angst ganz eng mit der Sexsucht verbunden ist, und daß dahinter tatsächlich eine ganz konkrete Angst steht. Nämlich die Angst vor Ablehnung.

Ich habe mir heute eingestanden, daß ich ungern offen mit anderen über meine Sexsucht sprechen möchte, weil ich eine gewaltige Angst davor habe, daß sie mich dafür ablehnen werden.

Ich habe mich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, mit der Sucht und ihren Auswüchsen zu leben, und ich habe mich auch daran gewöhnt, sie zu verheimlichen. Ich glaube, anfangs habe ich mich einfach nur geschämt und deshalb mit niemandem drüber geredet. Doch mit der Zeit habe ich auch andere Gründe und Rechtfertigungen dafür gefunden, warum es besser ist, die Sucht zu verheimlichen. Zum Beispiel habe ich von einem Psychologen erfahren, daß es eigentlich gut und wichtig ist, Geheimnisse zu haben, und irgendwann habe ich dann auch gedacht: "Na ja, eigentlich geht das ja auch niemanden was an." Oder ich habe gedacht: "Ich kann das anderen Menschen ja eigentlich auch gar nicht zumuten. Schließlich habe ich ja selber Schuld an meinem Problem."

Aber nun wird mir mehr und mehr bewußt, daß ich mich dadurch so selbstverständlich an die Sucht gewöhnt habe, daß mir irgendwann gar nicht mehr richtig aufgefallen ist, welche schwerwiegenden Folgen damit verbunden sind, daß ich gar nicht mehr spüre. was ich mir damit eigentlich antue, und wie schwer diese Sucht auf mir lastet. Eben wie der sprichwörtliche Stein auf dem Herzen, oder so wie einem Raucher irgendwann auch nicht mehr auffällt, daß er eigentlich durchgehend unter Atemnot leidet.

Doch ich wünsche mir, daß mir dieser Stein von Herzen fällt, und ich möchte dahin kommen, daß ich offen, ehrlich und befreit über meine Sexsucht sprechen kann, damit ich sie wirklich von mir loslösen und hinter mich bringen kann. Denn ich glaube, solange ich nicht offen und frei über sie sprechen kann, solange ich sie nicht preisgeben kann, beschütze ich sie damit und halte sie in mir fest.

Ich möchte die Sexsucht vor allem loslassen, damit sie nicht mehr zwischen mir und anderen Menschen steht.

Denn ich spüre, daß eigentlich die ganze Zeit ein Überwachungsprogramm in mir läuft, das darauf achtet, daß ich mich nicht zufällig verplappere, und ich merke, daß ich häufig gar kein wirklich ungezwungenes Gespräch mit anderen führen kann. Ich bin oft gar nicht tiefenentspannt, weil ich so eine unterschwellige Angst habe, daß ich aus Versehen doch etwas preisgeben könnte. Oh Gott ja, und mir ist inzwischen wahrscheinlich gar nicht mehr richtig bewußt, wie schmerzhaft das eigentlich für mich ist, und wie sehr ich darunter leide. Genauso wie dem Raucher seine dauernd verkrampfte Brust nicht mehr bewußt ist.

Oh ja, davon möchte ich mich gerne befreien.

Doch dazu brauche ich eine gewisse Hilfe, und damit komme ich zu dem nächsten, was mir heute bewußt geworden ist. Nämlich, daß ich auch große Schwierigkeiten damit habe, Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen und sie um Hilfe zu bitten.

Es fällt mir zum Beispiel schwer, mich auf einen echten und offenen Austausch hier im Forum einzulassen. Es fällt mir auch schwer, daran zu glauben, daß ich hier wirklich sinnvolle Hilfe und Unterstützung finden kann, und ich glaube, in einem gewissen Sinne wäre es mir sogar lieber, wenn ich keine finde, denn es fällt mir auch schwer, sie anzunehmen.

Ja, es fällt mir schwer, um Hilfe zu bitten, und es fällt mir schwer, sie anzunehmen.

Ich glaube, deshalb ist es das beste, wenn ich's jetzt einfach mal ganz direkt mache, ohne langer weiter nach Erklärungen und Rechtfertigungen zu suchen, warum ich's nicht kann. Wozu bin ich denn sonst hier?

Bitte helft mir!

Und:

Was meint ihr, wie ich am besten von meiner Sexsucht loskomme?

Schreibt mir eure Ratschläge und Tips, und scheut euch nicht, mich zu kritisieren. Wenn ihr irgendwie das Gefühl habt, daß mir etwas nicht aufgefallen ist, daß ich etwas übersehen habe, daß mir etwas entgangen ist, oder wenn euch irgendwas anderes einfällt, von dem ihr meint, daß es mir weiterhelfen könnte, dann...

... schreibt es bitte.

Und natürlich freue ich mich auch über jedes ermutigende und motivierende Wort.



Herzlichen Dank für alles im voraus,
Paul






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07.03.2012 19:58:18  
Paul Milafehlende Rechte fehlende Rechte fehlende Rechte 
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Mittwoch, 29. Februar 2012:


Ich war heute kurz im Internetcafé und habe mal kurz ins Forum geschaut. Ich habe in einigen Aussteige-Tagebüchern geblättert und gelesen, daß es nicht sinnvoll ist, die Tage zu zählen, weil einen das wie ein gedankliches Gummiband an der Sucht festhält und womöglich irgendwann zurückreißt. Deshalb höre ich sofort auf, die Tage zu zählen. Ich hab das sowieso nicht für sinnvoll gehalten und eigentlich nur gemacht, weil's so viele andere hier gemacht haben.

Beim Rauchen hab ich's ja auch nicht gemacht. Da habe ich einfach aufgehört, und dann hat von heute auf morgen mein neues Leben angefangen.

Über diese Einstellung habe ich übrigens auch im Forum gelesen. Also über die Einstellung, daß man nicht dem alten Leben hinterher trauern sollte, sondern sich auf sein neues, befreites Leben einstellen sollte. Das habe ich an anderer Stelle ja auch schon gesagt, und ich kann es nur noch mal bekräftigen.

Wer sich mit dem Verlust vereinigt, der wird zum Verlust.

Mir ist gestern abend noch etwas aufgegangen.

Als ich gestern in der U-Bahn saß, und mir auffiel, wie ich manche Frauen anschaute, und welche Assoziationen das in mir weckte, da wurde mir bewußt, daß meine Sexsucht offenbar tatsächlich einen starken Einfluß auf meine Wahrnehmung von Frauen, aber auch von Männern hat. Denn mir wurde wieder einmal bewußt, wie stark mein Interesse an einer Person davon abhängig ist, in wie weit sie sexuell attraktiv finde, und ich habe den Eindruck, daß ich die Fahrgäste in der U-Bahn häufig mit einem ähnlichen Wahrnehmungs-Filter betrachte, mit dem ich mich für lange Zeit auch durch die Seiten von Online-Communities und Porno-Seiten geklickt habe.

Ich spüre einfach, daß ich die Menschen, die mit mir in der U-Bahn sitzen, ähnlich emotional bewerte, wie ich zum Beispiel Anzeigen in einer Online-Single-Börse bewerte, und die habe ich wiederum ähnlich bewertet, wie ich Pornobilder bewertet habe. Mir fällt dabei auf, daß meine Sichtweise auf meine Mitmenschen durchaus von Konsum- und Suchtgewohnheiten beeinflußt ist, und daß ich die Menschen tatsächlich erst mal ganz klar danach bewerte und sortiere, ob ich sie attraktiv finde.

Ist das normal? Oder zeigt sich darin ein Einfluß meines Suchtverhaltens?

Ich bin gespannt darauf, wie ich die Menschen in einigen Jahren sehen werde, wenn ich mich schon lange nicht mehr nervös und gierig durch irgendwelche Pornobilder geklickt habe.



Heute abend habe ich mal wieder kurz intensiv darüber nachgedacht, mir Pornos anzuschauen. Ich habe mir neugierig vorgestellt, welche neuen Videos es vielleicht geben könnte, und ich habe gespürt, wie in mir die Lust auf den Rausch entflammt ist. Es wäre ganz einfach, doch noch mal schnell auf den Dachboden zu gehen, das Modem anzuschließen und einfach ohne Hemmung loszusurfen.

Doch das wäre der freie Fall nach unten.

Nein, es ist vorbei, es ist wirklich vorbei. Ich werde endgültig von der Sexsucht loslassen.



Ich steuere ins Unbekannte, in ein neues Leben.
Paul






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07.03.2012 19:59:13  
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Donnerstag, 1. März 2012:

Heute Vormittag hat sich die Sucht das erste mal wirklich stark zurück gemeldet, und ich habe wirklich ernsthaft darüber nachgedacht, daß ich ja schnell mein Modem vom Dachboden holen könnte. Ich habe mir wieder vorgestellt, was für neue Videos es geben könnte, und ich habe gespürt, wie die Gier in mir aufgestiegen ist, das Rauschgefühl. Und es fühlte sich so gut an, so verführerisch. Dann habe ich mir gesagt: "Nein, das ist jetzt endgültig vorbei. Ja, es ist vorbei", und kurz danach habe ich wieder dran gedacht. Dabei sind mir einige Sachen ganz deutlich geworden:



Point of no return


Ich will mich verführen lassen. Ich will schwach werden. Ich will mich überwältigen lassen und die Kontrolle verlieren.

Ich will die Kontrolle abgeben.

Mir ist aufgefallen, daß da ein immer gleicher Prozeß abläuft. Es fängt eigentlich immer mit einem bestimmten Gefühl an, meistens einer mehr oder weniger starken Geilheit. Aus diesem Gefühl heraus tauchen Bilder in meinem Geist auf, und diese Bilder laden mich ein, mich mit ihnen zu beschäftigen, mit ihnen zu plauschen. "Komm, komm. Wir sind ja nur kleine Bilder." Wenn ich mich dann anfange, mit den Bildern zu beschäftigen, dann bin ich auf einmal derjenige, der mehr und mehr von den Bildern einlädt: "Kommt, kommt. Bringt ruhig noch ein paar von euren Freunden mit." Ich fange also an, selber Bilder und Phantasien heraufzubeschwören, und mit diesen Bildern und Phantasien kommen auch mehr und mehr Gefühle hinzu, und um diese Gefühle geht es mir ja.

Um diese Gefühle geht es! Die will ich haben. Das ist meine Droge.

Dieser Prozeß geht einige Zeit hin und her, und die Gefühle werden dabei immer stärker, immer heftiger, bis langsam der Rausch einsetzt.

Ich schaukele mich selber hoch. Ich fixe mich selber an.

Das wichtige dabei ist: Ich mache das alles willentlich. Ich will immer mehr Bilder heraufbeschwören und ich will immer heftigere Gefühle damit erzeugen. Es ist kein passiver Vorgang. Es widerfährt mir nicht. Ich bin kein Opfer dieses Prozesses, sondern ich mache das alles willentlich.

Warum? Weil ich glaube, daß ich es noch unter Kontrolle habe.

Ich spiele mit meiner Sucht, weil ich glaube, daß ich sie unter Kontrolle habe.

So, ich steigere mich also weiter in meine Phantasien und Gefühle hinein, und dann kommt der erste Blitz in mich hineingeschossen, der erste heftige Kick: "Ich könnte es ja wirklich machen!" Und darauf folgt ein mächtiges Gefühl von Gier und Geilheit. "Ja! Ich könnte es wirklich machen!"

Und damit bin ich fast schon an dem point of no return. Also an dem Punkt, wo ich nicht mehr zurück kann.

Und den will ich erreichen.

Ja, den will ich erreichen.

Das, was ich zu erklären versuche, ist, daß mir bewußt geworden ist, daß ich mich selber bewußt und willentlich dahin bringe, daß ich nicht mehr zurück kann. Ich will mich an den Punkt bringen, wo mein Rausch so stark wird, daß ich von meinen Gefühlen überwältigt werde, wo ich schwach sein kann und die Kontrolle verliere.

Es ist so, als würde ich mich langsam einem tiefen Abgrund nähern, und ich tänzele immer nähere an den Abgrund heran, doch das Problem ist, daß ich ja eigentlich in diesen Abgrund hineinfallen will, und deshalb tue ich eigentlich nur so, als würde ich nicht hinein fallen wollen, ich täusche mich selber.

Oder es ist so, als würde ich in einem Boot auf dem Meer sitzen, und ich würde das Boot immer kräftiger hin und her schaukeln, bis es soviel Trägheitsmoment hat, daß ich es nicht mehr kontrollieren kann und es wirklich umkippt.

Und da will ich hin. Das muß man verstehen.

Ich will mich mit voller Absicht an den point of no return bringen, eben damit ich keine Kontrolle mehr habe und mich völlig meinem Rausch hingeben kann.

Dieser ganze Prozeß verläuft in Wirklichkeit völlig bewußt und willentlich ab. Ich bin kein Opfer meiner Sucht. Ich bin ein Täter meiner Sucht.

Eigentlich müßte es korrekt heißen: Ich tue meine Sucht.

So, wie es heißt: Ich mache meine Arbeit.


Ein Beispiel:

Ich sitze abends alleine zu Hause vor meinem PC und surfe im Internet. Weil ich mir nun viele Jahre im Internet Pornos angeschaut habe, merke ich, daß sich diese Gewohnheit bemerkbar macht. Ich sitze also vor dem PC, und plötzlich "komme ich auf die Idee", mir Pornos anzuschauen. Jetzt fängt der Prozeß an, den ich schon gestern beschrieben habe. Ich fange absichtlich und willentlich damit an, mich selber hochzuschaukeln. Ich turne und fixe mich selber an. Die Sucht überwältigt mich nicht, sondern ich lasse sie Stück für Stück zu, und bis zu dem point of no return, an dem ich die Kontrolle völlig abgebe, habe ich eigentlich immer noch die Möglichkeit, mein Verhalten zu ändern.

Wenn ich diesen Punkt überschreite, gebe ich absichtlich meine Entscheidungs-Freiheit auf.



Sofort unterbrechen


Und weil ich aber nicht mehr an den Punkt kommen will, an dem ich die Kontrolle völlig aufgebe und damit wieder in die Sucht zurückfalle, unterbreche ich diesen Prozeß gleich zu Anfang.

Warum? Ich will mir ja sowieso nie wieder in meinem Leben Pornos anschauen, und wenn ich mir sowieso nie wieder Pornos anschauen will, dann ist es ja auch jetzt schon völlig sinnlos, mir weiter Gedanken darüber zu machen.

Ich meine, egal wie geil und lustvoll die Gedanken sind, die ich mir über Pornos mache, am Ende meines Denkvorgangs steht ja sowieso immer nur noch ein Ergebnis: "Ich schaue mir keine Pornos an". Egal, ob ich 10 Sekunden oder 10 Stunden an Pornos denke, am Ende steht immer das Ergebnis: "Aber ich schaue mir keine Pornos an."

Also kann ich auch sofort wieder damit aufhören, weiter an Pornos zu denken.



Eine echte Sucht


Es ist wirklich eine Sucht. Ich habe wirklich das brennende Verlangen nach diesem heftigen Kick, nach diesem Rausch, den ich kriege, wenn ich mir Pornos anschaue. Ich wollte gar nicht masturbieren. Einfach nur zu masturbieren wäre mir eigentlich zu langweilig gewesen. Ich wollte diesen heftigen Rausch spüren.

Pornos sind mein Suchtmittel, und die Gefühle, die ich dabei empfinde, sind meine Droge.

Deshalb muß ich die Pornos als Suchtmittel ernst nehmen!



Keinen Rückfall



Übrigens habe ich nicht das Modem vom Dachboden geholt, und ich hatte keinen Rückfall!


Alles Gute,
Paul






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07.03.2012 20:00:54  
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Freitag, 2. März 2012:

Heute morgen war ich ein bißchen schlecht gelaunt. Doch während ich mein Frühstück zubereitet habe, dachte ich auf einmal: "Hey, eigentlich habe ich doch einen Grund zur Freude! Ich hab doch grade was neues in meinem Leben angefangen. Ja, ich habe ein neues Leben angefangen. Jetzt, nach so kurzer Zeit, merke ich vielleicht noch keine so große Veränderung. Aber:

So wie sich auch kleine Sparbeträge mit der Zeit zu einer großen Summe anhäufen können, wird sich auch die Veränderung mit der Zeit bemerkbar machen."

Und diese Gedanken haben mich dann wieder aufgemuntert.



Positive und negative Gewohnheiten


Ich denke, man muß realistisch bleiben. Als ich damals mit dem Rauchen aufgehört habe, da haben sich ja dadurch nicht plötzlich alle meine anderen Probleme in Luft aufgelöst. Man darf zu viel erwarten. Gerade am Anfang nicht.

Wenn ich ein Suchtverhalten aufgebe, dann schaffe ich damit ja noch keine positive, konstruktive Gewohnheit, sondern ich lasse eine negative, destruktive Gewohnheit weg.

Anders ausgedrückt: Wenn ich ein Suchtverhalten aufgebe, dann bewege ich mich damit ja eigentlich noch gar nicht vorwärts, sondern ich höre erst mal nur damit auf, mich rückwärts zu bewegen.

Oder noch mal anders: Wenn ich ein Suchtverhalten aufgebe, dann packe ich damit ja noch nichts auf die positive Waagschale, sondern ich nehme etwas von der negativen Waagschale weg.

Oder: Wenn ich ein Suchtverhalten aufgebe, dann ist das so, als würde ich damit aufhören, zu viel Geld auszugeben. Doch wenn ich einfach nur weniger Geld ausgebe, dann habe ich dadurch insgesamt noch nicht mehr Geld auf dem Konto. Wenn ich also mehr Geld haben möchte, dann muß ich also auch Geld dazu verdienen, und das wäre dann die positive, konstruktive Gewohnheit.

Da ich also in dem Sinne gar nichts mache, was mich weiter bringt, wenn ich meine Sucht aufgebe, sondern nur etwas weglasse, daß mich daran hindert, weiter zu kommen, darf ich mir davon allein keine allzu große Verbesserung meiner Lebensqualität erhoffen. Sondern ich muß gleichzeitig auch damit anfangen, aktiv etwas dafür zu tun, daß sich meine Lebensqualität verbessert.

Ich muß auch damit anfangen, aktiv etwas dafür zu tun, daß sich meine Lebensqualität verbessert.

Noch mal: Als ich mit dem Rauchen aufgehört hatte, haben sich dadurch keine meiner andere Probleme im Leben gelöst, und anfangs ist es mir sogar schwerer gefallen, mit bestimmten Problemen fertigzuwerden, weil ich das Gefühl hatte, daß mir eine wichtige Stütze fehlt.

Aber wie schaffe ich denn nun eine positive, konstruktive Gewohnheit?

Eine positive, konstruktive Gewohnheit schaffe ich zum Beispiel, wenn ich anfange regelmäßig Sport zu treiben, wenn ich anfange, mich dauerhaft gesund zu ernähren, wenn ich mich weiterbilde, oder wenn ich regelmäßig gemeinnützige Arbeit leiste. Eben, wenn ich aktiv etwas tue.

Wenn ich aktiv etwas tue.

Wenn ich dauerhaft und regelmäßig aktiv etwas positives und konstruktives tue, dann schaffe ich damit eine positive, konstruktive Gewohnheit.

Ich glaube, das ist eine sehr wertvolle Einsicht.



Kontrolle und Verantwortung

Heute vormittag habe ich für ein paar Minuten wieder starke Suchtgedanken zugelassen. Doch ich habe mich an das erinnert, was ich erst gestern aufgeschrieben habe, nämlich, daß ich selber absichtlich diesen Prozeß in Gang setze, daß ich mich absichtlich in einen Kontrollverlust hineinzuschaukeln versuche, um damit die Verantwortung abzugeben.

Das ist ein wichtiger Aspekt dieses Prozesses: Ich will die Verantwortung abgeben.

Ich will mir selbst und anderen gegenüber so tun, als gäbe es etwas in mir, worüber ich keine Kontrolle hätte, etwas, daß mich einfach überwältigt, so daß ich für mein Verhalten eigentlich nicht verantwortlich bin.

Aber ich glaube, das ist Selbstbetrug.

Denn, wenn ich mir sicher wäre, daß ich wirklich keinerlei Kontrolle darüber hätte, dann bräuchte ich ja gar nicht versuchen, mir das Suchtverhalten abzugewöhnen. Und wenn ich wirklich keinerlei Kontrolle darüber hätte, dann könnte ich ja zum Beispiel auch nicht kontrollieren, wann und wo es passiert.

Ich habe in meinem Leben zum Beispiel schon viel masturbiert, aber ich habe noch nie in aller Öffentlichkeit vor anderen Menschen. Also, noch nie bei der Arbeit, in der S-Bahn, im Supermarkt oder ähnliches. Ich hatte eigentlich auch noch nie das Bedürfnis danach, aber was ich damit sagen will ist: Wenn es da eine Gier oder eine Geilheit in mir gäbe, die so stark wäre, daß ich gar keine Kontrolle über sie hätte, wieso hat mich meine Sucht dann noch nie in aller Öffentlichkeit überwältigt? Wieso überwältigt mich meine Sucht nur dann, wenn ich alleine mit mir zu Hause bin?

Nein, da versuche ich mich und andere zu belügen. Die anderen und mich.

In Wirklichkeit habe ich immer die Kontrolle.

Ich glaube, sich das einzugestehen ist nur aus einem einzigen Grund so schwierig, nämlich weil es bedeutet, daß ich auch früher schon immer die Kontrolle hatte, und wenn ich schon früher immer die Kontrolle hatte, dann habe ich ja mich und andere betrogen, wenn ich behauptet habe, daß ich ein Opfer der Sucht gewesen bin. Denn dann war ich ja in Wirklichkeit gar kein Opfer meiner Sucht gewesen, sondern der Täter.

Aber das wollte ich mir und anderen gegenüber nicht zugeben. Ich wollte lieber so tun, als wäre ich ein armes, schwaches Opfer, das nicht für sein Sucht-Verhalten verantwortlich ist.

Ich wollte keine Verantwortung für mein Sucht-Verhalten übernehmen.

Ja, ich glaube, die schmerzhafte Wahrheit, die ich mir eingestehen muß, ist die, daß ich in den letzten 15 Jahren die ganze Zeit die Möglichkeit gehabt hätte, mein Sucht-Verhalten zu ändern. Ich muß mir eingestehen, daß ich eigentlich die ganze Zeit über die Kontrolle gehabt habe.

Ich habe mich im wesentlichen wie ein unreifes Kind verhalten. Ich habe Fehler gemacht, für die ich nicht die Verantwortung übernehmen wollte.

Ich hätte vielleicht schon vor vielen Jahren aus dieser Sucht aussteigen können. Doch damals wollte ich nicht wahrhaben, daß ich selber die Verantwortung für mein Verhalten trage. Es war nicht wirklich so, daß meine Triebe oder die Sucht mich beherrscht hätten, sondern es war so, daß mir die Sucht so gut gefallen hat, daß ich sie nicht aufgeben wollte, und um mein Sucht-Verhalten vor mir selber zu rechtfertigen, um keine Verantwortung dafür übernehmen zu müssen, habe ich angefangen, daran zu glauben, daß ich es sowieso nicht ändern kann.

Man nennt diesen Zustand in der Psychologie auch: Erlernte Hilflosigkeit.

Jetzt, wo ich darüber schreibe, wird mir bewußt, daß Verantwortung eine entscheidende Rolle dabei spielt, meine Sexsucht zu überwinden.

Erst, wenn ich wirklich die volle Verantwortung für mein Verhalten übernehme, kann ich auch meine Sucht überwinden.



Erwachsen werden


Mein Sucht-Verhalten, für das ich bisher keine Verantwortung übernehmen wollte, ist eigentlich ein zutiefst unreifes und kindisches Verhalten, denn so verantwortungslos verhalten sich eigentlich nur kleine Kinder. Die Sucht ist ein Bereich in meinem Leben, in dem ich völlig unterentwickelt, unreif und kindisch geblieben bin, und meine Sucht zu überwinden bedeutet also auch reifer und mehr erwachsen zu werden.



Anspruch an mich selbst

Doch warum?

Warum lasse ich die Sucht denn nun zu, wenn ich alleine mit mir zu Hause bin? Warum lasse ich die Sucht zu, obwohl ich eigentlich die Kontrolle habe und mich anders verhalten könnte?

Weil es mir egal ist.

Was bedeutet das Wort "egal"? Es kommt aus dem Französischen, und es bedeutet "gleich". Wenn mir also etwas "egal" ist, dann sage ich damit "es ist mir gleich". Aber was bedeutet es, wenn ich sage "es ist mir gleich"? Es bedeutet, daß es keinen Unterschied für mich macht. Ob ich mich so oder so verhalte, macht keinen Unterschied für mich.

Es ist mir GLEICH-gültig.

Ganz konkret bedeutet das, daß es keinen Unterschied für mich macht, ob ich abends alleine vor meinem PC sitze und zu Pornos wichse, oder ob ich mich der Herausforderung stelle, rauszugehen und eine echte Frau kennenzulernen.

Es bedeutet, daß ich meine Ansprüche soweit herabgesenkt habe, daß ich mich mit Pornos und Masturbation zufrieden gebe.

Das ist ein äußerst niedriger Anspruch.

Ich habe einen äußerst niedrigen Anspruch an mich selbst.

Und das liegt letztlich daran, daß ich mir selbst gegenüber wenig Respekt, Wertschätzung und Liebe entgegenbringe.

Ich selber bin es mir nicht wert.

Ja, wenn ich von einem guten Freund erfahren würde, daß er sich mit Sexsucht so selbst erniedrigen und quälen würde, wie ich es gemacht habe, dann würde mir das in der Seele weh tun, und ich würde versuchen, ihm dabei zu helfen, da raus zu kommen. Ich würde ganz selbstverständlich davon ausgehen, daß er ein liebenswerter und wertvoller Mensch ist, und würde überhaupt nicht verstehen, warum er sich selber so quält. Ich könnte nicht verstehen, wieso er auf die Idee kommt, daß er nicht mehr verdient hat, als das.

Was muß ich für ein negatives Selbstbild haben, daß ich das all die Jahre ertragen habe.

Ja, es stimmt. Wenn ich so in mich gehe und darüber nachdenke, dann habe ich wirklich ein sehr negatives Bild von mir selbst. Ich bin äußerst selbst-kritisch, und ich habe im Laufe meines Lebens tatsächlich immer mehr das Gefühl verstärkt, daß tief in mir drin irgendwas nicht in Ordnung ist.

Ich habe das Gefühl entwickelt, daß mein Leben irgendwie verdorben ist, und daß ich die restliche Zeit meines Lebens eigentlich für nichts anderes mehr benutzen darf, als diesen Makel auszugleichen.

Eine tiefe, tiefe Scham.

Diese Scham hat sicher mehrere Ursachen, und darüber werde ich mit meinem Therapeuten noch mal gründlich sprechen müssen.

Eins weiß ich aber schon jetzt. Ich darf diese tiefe Scham loslassen. Dieses negative Selbstbild, daß ich von mir selber habe, diese tiefe Überzeugung, daß irgend etwas mit mir nicht stimmt, brauche ich nicht aufrechtzuerhalten.

[...]






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