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Beiträge: 3415 Mitglied seit: 26.03.2006 IP-Adresse: gespeichert
| Diesen Text erhielt ich per E-Mail, die Mail-Adresse und der angegebene Name sind nur mir bekannt. G. Farke
Hallo Frau Farke, Ich weiss nicht, ob dies der richtige Weg ein Bekenntnis abzugeben, trotzdem versuche ich es mal hier. Mein Name ist xyz, ich bin 34 Jahre alt und ich war ein WOW-Zombie. Ende September vergangenen Jahres ging eine achtjährige Beziehung zu Ende. Dies war insofern gewollt, da ich schon lange eine Frau liebte, mit der ich ein neues Leben beginnen wollte. Ich hatte damals noch einen guten Job als SalesManager einer internationalen Firma, fuhr ein schickes Auto, konnte mir ein wenig der "schönen Dinge im Leben" leisten. Leider habe ich nicht bedacht, dass, auch wenn gewollt, so ein Ende ein arg großes Loch reisst, in welches ich auch prompt fiel und ohne fremde Hilfe nicht mehr hinaus wusste. Ich fiel in eine tiefe Depression, was natürlich über kurz oder lang auch meine Kündigung zur Folge hatte. Die schöne 100qm Altbauwohnung war natürlich unmöglich mehr alleine zu finanzieren, ich musste umziehen. Dies war die Zeit, als ich begann WoW zu spielen. Seit 25 Jahre spiele ich Computerspiele so wie andere ab und an auf den Golfplatz gehen oder sonstigen Hobbys nachgehen. Für MMORPGs fehlte mir immer die Zeit, und ich war nie gewillt monatlich zu zahlen um meine Zeit totzuschlagen. Dann kam WoW. Es traf mich nach 20m wie ein Schlag, ich musste dieses Spiel spielen. Ich war begeistert, endlich einen Schritt näher an der Matrix, endlich echter Eskapismus ohne Chipsrasselnde Sitznachbarn im Kino. Das war doch mal was. Habe mich ja völlig normal, nein erholt gefühlt nachdem ich gespielt hatte.
Dazu kam, dass diese Flucht mich von "schlimmeren" Dingen abhielt. Ich vergötterte dieses Spiel. Zu diesem Zeitpunkt war auch alles in bester Ordnung, ich hatte meine Umzug fertig, war endlich mit der Frau zusammen, die ich liebe, zusammen mit ihrem Sohn waren wir eine richtig kleine Familie. Wir begannen Zukunftspläne zu schmieden, - alles war in bester Ordnung, der Grundstein für unser neues Leben war gelegt - es konnte losgehen. Bis dahin war mein Character Lvl. 60, der sogenannte Endgamecontent wartete. Ich war in den Rat unserer Gilde aufgestiegen, die "Freundesliste" im Spiel war voll, man kannte sich, freute sich Perosn X oder Y "wiederzusehen", verbrachte ganze Nächte im VoiceChat und redete über dies und das. Dass der Aschenbecher vor mir überquoll, mein Kühlschrank bis auf Tiefkühlfrass leer war, meine Finger gelb wurden, ich immer fetter wurde - das habe ich nicht bemerkt. Der Konsum wurde immer mehr, auch wenn man sich mit Co-Zombies immer wieder gegenseitig einredete, dass man doch eigentlich nur einem Hobby nachgeht, dass das doch arme Seelen sind, die nicht damit klarkommen. Ich war der festen Überzeugung das alles in Ordnung sei. Der Tag kam, als mich meine Freundin ihrer Freundin vorstellte. Dies war für mich der völlige Realitätschock, ich kannte ja nur noch meinen Rechner und alle zwei oder drei Tage den Aldi um die Ecke. Hier wurde nur Nahrung gekauft, die schnell innerhalb von Raidpausen zubereitet werden konnte, manchmal liess ich das Essen auch ganz ausfallen, nur um dann am nächsten Tag umso mehr zu essen). Da waren echte Menschen, hier war ich auf einmal ich, oder das was noch von mir übrig war. Völlig überfordert reagierte ich mit /ignore und /dnd - es begann mir Angst zu machen. Im Nachhinein betrachtet war ich neidisch, ich sah eine normale Familie - das, was ich doch immer wollte, mir wurde dieses Leben auf dem Silbertablett gereicht, doch ich war zu blind es zu sehen. Habe die Augen zugemacht - Ich war ja schon vier Tage nicht mehr online... Im "Spiel" lief es immer besser, die Ausrüstung wurde langsam lila, ich fand meine perfekte Stammgruppe - Zu dieser Zeit war ich ca. 14h / Tag online, das Telefon hatte ich ausgeschaltet, den Briefkasten öffnete ich nur, wenn er überquoll, den Inhalt warf ich dann ungesehen auf einen großen Haufen, die Haustür war immer abgeschlossen, die Jaloussien runtergelassen - es gab doch jetzt so tolle Wettereffekte in WoW..., ich las keine Mails mehr, lebte nur noch für dieses Spiel. Um mich herrum hatte ich alles aufgebaut und an die Wand oder Tür gepinnt, was mit WoW zu tun hatte. Ich war WoW, man konnte mich immer fragen für was dieses oder jenes Addon gut ist oder wie es funktioniert, ich wusste immer die neueste News, war der TechnikCrack unserer Gilde. Immer gerne gesehen. Mein echtes Leben hatte sich zu diesem Zeitpunkt fast aufgelöst, das Telefon war ja aus, was in all den Umschlägen drinsteckte, wollte ich nicht wissen, es hätte ja vielleicht meine Konzentration im Spiel beeinträchtigt. Meine Freundin hatte versucht mich zu ereichen, es dann aber irgendwann aufgegeben - Ich bemerkte davon nichts - ich schlief inzwischen nur noch auf der Couch. Von einem geregelten Leben war nichts mehr übrig. Nach vier Wochen dieser extremen Abkapselung wachte ich (kurz vor Ostern) eines Morgens auf und endlich, endlich bemerkte ich, dass viel mehr nicht mehr schieflaufen kann. Ich war ganz allein, einige der Umzugskartons waren noch nicht ausgepackt, die Fenster meiner Wohnung waren fast blind vor Winterdreck, die weiteste Hose, die ich habe, ging nicht mehr zu UND meine Freundin war nicht mehr da. Ich hatte seit Wochen kein Wort mehr mit ihr gesprochen! Die Wohnung wurde aufgeräumt, ich habe versucht per Mail wieder Kontakt zu ihr zu bekommen, habe begonnen mich zu bewegen und abzunehmen. Noch gab es meinen Account, aber von Stunde zu Stunde reifte in mir die Erkenntnis, dass es diesen nicht mehr lange geben darf. Am 01.05. beschloss ich, das Spiel einzustellen, am 02.05 bekam ich eine Mail, in der sie mir kurz mitteilte, dass sie es mit mir nicht mehr aushält, am 03.05 löschte ich das "Spiel". Es war wie eine Befreiung WoW loszuwerden! Schaue ich grade auf die letzten zwei Monate zurück, so fühlt es sich fast schon surreal an. Man kann es nicht verstehen, wenn man wieder hier ist, wie man so unendlich dumm sein konnte. Abgesehen davon, dass ich jetzt einiges vor mir habe bis ich wieder "auf Spur" bin, das Schlimmste ist die Tatsache, dass ich dem Menschen, den ich liebe, wegen einem "Spiel" so unendlich wehgetan habe. Noch nie in meinem Leben bereute ich irgendetwas. Aber diese zwei Monate, oder besser das gesamte halbe Jahr sind eine Zeit, die ich gerne zurückspulen möchte. Leider geht das nicht! Und das alles wegen einem Spiel... Wie kann man nur so dumm sein! Gruß, xyz
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