Wir sind ein HISTORISCHES Rollenspiel und spielen im Jahr 15n.Chr. in ALARICHS DORF, WIDARS DORF und der römischen Stadt MOGONTIACUM.
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WETTER UND ZEIT
Jahr Wir spielen im Jahr 15n. Chr. Monate Mitte April - Mitte Juni Bitte berücksichtigt das in eurem Play Wetter Der April überrascht alle Dorfbewohner mit mildem, beständigem Wetter. Es regnet genug damit das Getreide wächst. Im Mai ist es sehr windig und regnersich. Es gewittert häufig. Der Juni ist der Vorbote des Sommers. Es ist angenehm warm, die Sonne scheint.
Beiträge: 110 Mitglied seit: 12.05.2010 IP-Adresse: gespeichert
Hätte sie geschlafen, wäre sie wohl durch die Bemühungen des Jungen wach geworden. Schließlich gab der Junge sich ja alle Mühe. Spätestens als er versuchte sie über den feuchten Waldboten zu ziehen, wurde deutlich, dass sie ohnmächtig war und nicht nur schlief. Nur kurz gab sie ein leises Wimmern von sich. Fast war es so, als ob sich wieder einer ihrer Peiniger auf sie gestürzt hätte. Die Peitschenwunden auf ihrem Rücken brannten wie Feuer, bei dieser Bewegung. Und nicht nur das, ihr Atem wurde schwerer, da eine der geprellten Rippen sich beschwerte. Vor einigen Tagen hatte der Sklavenhändler nach ihr getreten, weil sie ihn übel beschimpft hatte. Schließlich lag sie wieder da, mitten im Regen. Die Versicherung, dass Lucan gleich wieder kommen würde, bekam sie nicht mit. Sie war wieder zurück in die Schwärze gesunken. Völlig allein lag sie eine ganze Weile wieder im Wald, während der Junge zurück zu seinem Vater ging um eines der Pferde zu holen. Áine hatte Glück im Umglück gehabt. Viel hätte nicht gefehlt und Lucius hätte sich auf sie gestürzt, vergewaltigt und dann wohl einfach erschlagen, weil sie sich so gesträubt hatte. Wie es wohl den Anderen ergangen war? Der Thraker der sich mit Todesverachtung auf die Söldner gestürzt hatte um ihr die Flucht zu ermöglichen. Jetzt brauchte sie sich jedenfalls erst einmal nicht Fürchten, Lucius war Tod und der Knabe hatte es sich in den Kopf gesetzt sie zu retten.
Einige Meilen entfernt lief der Sklavenhändler auf und ab. Er wartete auf seinen Söldner und dass er diese verdammte freche Sklavin wieder einfing. Doch der Wald lag still und friedlich da. Auf dem Wagen in dem Käfig hockten der Sklavenjunge und die andere Frau. Der Gladiator war Tod und er hatte nur noch drei Söldner die ihn begleiten würden. Zu wenig für seinen Geschmack. „Ich will hier weg“, brummte er dann entschlossen. Zwar hatte er Verluste erlitten, aber da einige der Söldner tot waren, brauchte er auch nicht alle bezahlen. „Auf nach Mogintiacum!“ befahl er und hievte sich wieder auf den Rücken seines Pferdes. Zurück blieb nur eine Wagenspur im Schlamm, die sich langsam mit Regen füllte.
In der Zwischenzeit war Lucan mit einem Pferd zurückgekommen und hatte eine behelfsmäßige Trage zu basteln, welche er dann von dem Tier ziehen ließ. Für sein Alter zeigte er erstaunliches Geschick. Nur wenig später lag sie dann auf den Decken. Blass, unterkühlt, mit unzähligen Kratzern an Armen und Beinen, blauen Flecken, geprellten Rippen, tiefen blutigen Striemen auf dem Rücken und einer hässlichen Brandwunde auf dem linken Schulterblatt, weil der Sklavenhändler es sich nicht hatte nehmen lassen wollen um sie als ungebärdige Sklavin zu markieren.
Beiträge: 588 Mitglied seit: 13.12.2008 IP-Adresse: gespeichert
Lucan sah nur kurz zu seinem Papa hoch, als dieser ihm die Hand auf die Schulter legte. "Sie hat vorhin gewimmert, als ich versucht hab, sie allein über den Waldboden zu ziehen. Ich glaub, sie ist am Rücken verletzt." Besorgt ging der Junge im Halbkreis um die Trage herum und betrachtete die darauf Liegende von allen Seiten. "Der Mann hat sie als seine Beute bezeichnet, wahrscheinlich war er ihr Herr oder so ..." Unwillkürlich grub er die Zähne in die Unterlippe. Auch ohne unter die Reste ihrer Kleidung zu schauen wußte er, wenn es so war, hatte die Frau ganz bestimmt noch andere Verletzungen. "Am besten, wir bringen sie auch zu einer Heilerin. Die kann bestimmt am besten sagen, was ihr alles fehlt." Er wischte sich nervös die triefnassen Locken aus den Augen. Ein wenig unruhig trat er auf der Stelle hin und her, weil ihm mittlereweile verdammt kalt wurde. "Aufs Pferd heben geht nicht, ich muß die Schleife verbessern." Er zog nachdenklich eine Schnute nach rechts. "Und ich hab keine Zügel mehr, also muß ich mit Vangio hinter dir bleiben."
Beiträge: 1374 Mitglied seit: 12.11.2008 IP-Adresse: gespeichert
"Als erstes hol meine Decke und deck die Frau zu. Und dann: In meinen Satteltaschen sind Lederriemen, Lucan. Die Decke wird auf Dauer so nicht halten. Du mußt Lederriemen oben und unten quer darunter herziehen, um die Belastung zu verringern." Mühevoll und die Hand auf seine schmerzende Wunde gepreßt kniete sich Grimoald neben die fremde Frau. Sollte er sie zu wecken versuchen? Oder gnädig in ihrer Bewußtlosigkeit lassen, damit sie keine Schmerzen hatte? Von irgendwem hatte er mal gehört, daß Bewußtlosigkeit gefährlich war. Daß Bewußtlose leicht ersticken konnten. Aber er wußte nicht mehr, von wem er das gehört haben konnte. Und ob die Information zuverlässig war. "Komm, Lucan. Hol die Lederriemen, so viele Du finden kannst. Du mußt sie anbringen und ich versuche, die Knoten richtig fest zu ziehen." Es war mühevoll. Grimoald zitterten die Hände und er wußte, er sollte sich ausruhen. Doch das ging jetzt nun einmal nicht. Nach einer endlos scheinenden Zeit hatten sie die provisorische Schleife so verstärkt, daß sie bis zu jenem Dorf halten würde. Gegen die Nässe konnten sie wenig tun. Aber Grimoald untersuchte die Bewußtlose vorsichtig, um festzustellen, ob stark blutende Wunden vorhanden waren. Da er keine solchen fand, beließ er es dabei. Hier konnte er fast nichts tun, zumal er wegen seiner eigenen Verletzung nicht die Kraft aufwenden konnte wie sonst, so daß er sie nicht aufsetzen oder umdrehen konnte. Doch er versuchte jetzt doch, sie zu wecken. Mit leichten Klapsen auf die Wangen. "He... Wach auf! Na, komm schon. Du bist in Sicherheit. Wach auf, nur kurz die Augen aufmachen, ja?"
Beiträge: 110 Mitglied seit: 12.05.2010 IP-Adresse: gespeichert
Irgendetwas veränderte sich. Wirklich bestimmen konnte sie es nicht. Ihre Sinne drifteten noch immer zwischen tiefer Bewusstlosigkeit und langsamen erwachen. Noch immer schien ihr Verstand sich der Gefahr bewusst zu sein, in der sie zu schweben glaubte. Doch spielte es eine Rolle, ob sie dabei wach war? Sicher nicht, am Ende würde Lucius sie wohl nur umbringen. Weil sie sich gewehrt hatte. Áine konnte ja nicht wissen, dass ihr Peiniger Tod im Regen lag, erschlagen von einem Germanen. Da war Schmerz und Erschöpfung und auch Angst, Gefühle denen sie sich nicht stellen wollte. Die Bewusstlosigkeit war hingegen etwas in dass sie sich fallen lassen konnte, zumindest wusste sie, was sie erwartete, nicht noch mehr Schmerz nur Schwärze. Während sich also scheinbar die Welt um sie herum in Bewegung setzte, ließ sie sich zurück sinken in das Vergessen.
Leicht wie eine Feder fühlte sie sich, entrückt von der brutalen Realität. Doch viel zu schnell, schien die bittere Wahrheit zurück zu kehren. Wieder hatte sich etwas verändert, Stimmen, die eines Jungen und eines Mannes. Was hatte das zu bedeuten? Noch konnte sie nicht wirklich einen klaren Gedanken fassen, aber die Angst kehrte zurück. Der Sklavenhändler! kam es ihr mit entsetzen in den Sinn. Wer sonst sollte da reden. Und da zu dessen Ware auch ein Halbwüchsiger Knabe gehört hatte, mehr als nur logisch. Sie wollte nicht als Sklavin enden, aber anscheinend hatten die Götter ihr dieses Schicksal vorherbestimmt. Doch irgendwas war anders an den Stimmen. Bestimmen konnte sie es nicht, was wohl an ihrer Erschöpfung lag und dass sie eigentlich auch noch immer am Rande der Bewusstlosigkeit herum wanderte. Es wäre wohl das Beste wenn sie einfach sich wieder fallen ließ. Vielleicht erbarmte sich dann doch einer der Götter und erlöste sie von ihrem Leid.
Doch wie so häufig in den vergangenen Wochen, schien das Schicksal ihr nicht wohlgesonnen zu sein. Anstatt sie einfach wieder zurück in die Schwärze gleiten zu lassen, nistete sich die Angst und Panik in ihrem Herzen ein und ließ sie weiterhin am Rande zwischen erwachen und dankbaren Schlaf entlang wandern. All ihre Instinkten schienen zu wissen, dass die Gefahr noch nicht gebannt war. Wie um der Angst weiter Nahrung zu geben, war plötzlich eine tiefe Stimme sehr nahe. Leise aber eindringlich sprach sie auf sie ein und schien ihr den Frieden nicht zu gönnen.
Erschrocken riss sie die Augen auf und krümmte sich erst einmal vor Schmerz. Denn mit der Rückkehr unter die Lebenden kehrten nun auch dieQualen des Körpers zurück.
Beiträge: 588 Mitglied seit: 13.12.2008 IP-Adresse: gespeichert
Wieder nickte Lucan und wuselte sogleich zurück zu den Pferden. Nachdem er die Frau mit Grimoalds Decke richtig zugedeckt hatte, durchsuchte er die Satteltasche nach den Lederriemen. Beide Hände voll, kam er schließlich zurück und machte sich daran, die Riemen zunächst unten quer durchzuziehen. Als er damit fertig war, wiederholte er die Prozedur nochmals an der oberen Seite der Trage. Obgleich sein Papa sich bemühte, die Knoten richtig zu befestigen, merkte Lucan, wie schwer ihm diese Arbeit fiel, und er selbst packte bei den einzelnen Knoten nochmals so fest er konntet zu.
Erst, als er fertig war, bemerkte er, daß Grimoald versuchte, die Frau aufzuwecken. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit, als er angespannt abwartete, ob die Frau auch erwachen würde. Dennoch kam ihr schreckhaftes Zucken ziemlich plötzlich, so daß Lucan unwillkürlich zwei Schritte zurückwich. Besorgt zogen sich seine Augenbrauen zusammen, als er erkannte, welche Schmerzen die Frau haben mußte. "Vielleicht ... wär was zu trinken gut?" schlug er vorsichtig vor.
Beiträge: 1374 Mitglied seit: 12.11.2008 IP-Adresse: gespeichert
Grimoald hatte nicht ahnen können, daß die Frau derart schlimme Schmerzen hatte. Wie hatte sie es nur geschafft, ihren Peinigern zu entkommen? In diesem Zustand? "Ja, etwas zu trinken wäre gut", stimmte er leise seinem Sohn zu, bevor er sich wieder an die Frau wandte. "Ich habe leider nichts gegen die Schmerzen. Aber ganz in der Nähe ist ein Dorf. Du mußt nur noch ein kleines bißchen durchhalten. Dann wird alles gut. Hörst Du? Alles wird gut." Sanft legte er seine Hand auf ihre Stirn, in der Hoffnung, sie damit zu beruhigen. "Hast Du Durst? Mein Sohn bringt Dir Wasser. Du wirst gleich etwas trinken können."
Beiträge: 110 Mitglied seit: 12.05.2010 IP-Adresse: gespeichert
Eine ganze herrliche Weile lang, war da rein gar nichts gewesen. Umso schlimmer schien ihr nun die Rückkehr in die Welt der Lebenden. Es schien so als würden alle Nerven gleichzeitig den Schmerz melden und ihre Aufmerksamkeit wecken. Und nebenbei redete noch jemand auf sie ein. Davon bekam sie nur die Hälfte mit, aber irgendwie dämmerte es ihr, dass sie wohl nicht mehr bei dem Sklavenhändler war. Da war ein Junge, erinnerte sie sich blass. Hatte er Hilfe geholt? Es schien so… Nach einigen qualvollen Minuten schien sich der Schmerz nur noch in ein dumpfes Pochen zu verwandeln, wesentlich angenehmer, als alle Sinneseindrücke auf einmal. Verwirrt blinzelte sie, sie war eindeutig nicht mehr im Wald und derjenige der sich zu ihr herunter beugte war ihr fremd. Aber sie konnte ihn verstehen. Kein Wunder, hatte sie als Kind germanische Freunde gehabt. In der Siedlung in der sie aufgewachsen waren, hatten sich die Kelten und Germanen gut verstanden und waren noch besser mit einander ausgekommen.
Auch wenn er sich um sie bemühte, wollte nicht wirklich ein Gefühl der Sicherheit in ihr aufsteigen. Nach den letzten Monaten war ihr Vertrauen in die Männer im Allgemeinen gesunken. Weglaufen konnte sie nicht, dazu war sie zu schwach, erschöpft und verletzt. Eigentlich wollte sie nur noch schlafen. Fürs Erste schien sie in Sicherheit zu sein. „Wasser“, bat sie leise.
Beiträge: 588 Mitglied seit: 13.12.2008 IP-Adresse: gespeichert
Schnell setzte Lucan sich wieder in Bewegung, um erneut mit dem Wasserschlauch wiederzukommen. Ohne zu zögern ging er neben der blonden Frau auf die Knie, um ihr selbst beim Trinken zu helfen, so wie er es damals auch bei Achodis versucht hatte. "Versuch mal, dich hinzusetzen", meinte er leise zu ihr. "Dann kannst du besser trinken."
Beiträge: 1374 Mitglied seit: 12.11.2008 IP-Adresse: gespeichert
"Nein, beweg sie nicht zu viel. Nur den Kopf anheben. Und dann sammel die Waffen vom dem Kerl ein, sie sind zu gut, um sie liegen zu lassen." Grimoald kontrollierte noch einmal die Knoten, dann sprach er nochmal leise mit der Verletzten. "Wir bringen Dich zu einer Heilerin. Alles wird gut. Sorge Dich nicht." Dafür machte Grimoald sich umso mehr Sorgen. Sie mußten zu dem Dorf. Schnell.
Er wartete, bis Lucan alles erledigt und alle Sachen verstaut hatte. Dann zog er sich mühevoll auf den Rücken seines Pferdes. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen durch den Schmerz, den das verursachte. Er wartete, bis es verging. "Du mußt vorreiten, Lucan. Zurück zm Weg... Es ist nicht mehr weit."
Tatsächlich erreichten sie überraschend schnell das Dorf. Wie gut, daß sie hier auch auf dem Hinweg schon übernachtet hatten, so brauchten sie kaum etwas erklären. Grimoalds Wunde und auch die vielen Wunden der ihnen noch fremden Frau wurden von einer kundigen Heilerin versorgt und mit beiden war an diesem Abend nichts mehr anzufangen, sie schliefen. So lag die Last der Erklärungen und der Sorge um die beiden Verletzten ganz allein auf den noch viel zu schmalen Schultern von Lucan.
OT: Ich spule mal etwas vor, denn Bewußtlose und Halbbewußtlose sind schlechte Gesprächspartner ;)
Beiträge: 588 Mitglied seit: 13.12.2008 IP-Adresse: gespeichert
Lucan war so sehr darauf konzentriert, alles richtig zu machen, daß er noch nicht mal daran dachte zu weinen. Obwohl sich das alles tief in ihm hundsmieserabel anfühlte, gelang es ihm irgendwie, die Angstgefühle soweit wegzudrängen, daß er einfach nur das tun konnte, was jetzt sein mußte! Auf dem Weg ins Dorf redete er nur das allernötigste mit den beiden Verletzten, vergewisserte sich zwischendurch immer mal wieder, daß es ihnen soweit gut ging, damit sie den restichen Ritt schaffen würden. Allzu weit war der Weg nicht mehr, wie sein Papa bereits gesagt hatte. Vielleicht kam es ihm auch nur so vor, weil er ihn kannte - aber alles was er spürte, als er aufs Tor zuritt, war die ruhige Erkenntnis, daß sie tatsächlich schon da waren. Die Torwachen ihrerseits waren nicht schlecht erschrocken, und der Mann, der loslief, um dem Rich und der Heilerin des Dorfes bescheid zu sagen, warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Lucan selbst war schon damit beschäftigt, dem anderen Torwächter in kurzen Worten zu erklären, was ihnen passiert war.
Während sein Papa und die fremde Verletzte versorgt wurden, saß Lucan stumm daneben und beobachtete jede noch so kleinste Bewegung der Heilerin. Obgleich die Frau sich bemühte, den Jungen zu beruhigen, zeigte sich nun die Nachwirkung seines Schrecks, indem er sich kaum dazu bewegen ließ, von Grimoalds Seite zu weichen. Erst als er feststellte, daß die beiden Verwundeten schliefen, riß Lucan sich kurzzeitig los, um nun auch dem Rich persönlich von den Geschehnissen zu berichten. Nachdem er alle Fragen beantwortet hatte, setzte er sich wieder auf die Bank neben dem Krankenlager, um weiter aufzupassen. Selbst das Abendessen lehnte Lucan dankend ab, da die Erlebnisse der letzten Stunden ihm gänzlich den Appetit verschlagen hatten.
Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, als der Junge über seine stumme Sorge hinweg einschlief. Er merkte gar nicht mehr, wie er hochgehoben und ebenfalls auf eines der Schlaflager gebettet wurde. Sogar im Schlaf kreisten seine Gedanken um den Kampf und die Verletzungen seines Vaters, mischten sich wirr mit den Erinnerungen an seine frühere Familie, denen er sich auf ihrer Reise mehr denn je gestellt hatte ...
Endlich waren sie da. Dort vorne ragten immer noch die Überreste des Tores aus dem Boden. Dichter Nebel hing über den verkohlten Ruinen, die einst Hütten gewesen waren. Suchend sah Lucan sich um, ob er jene Stelle erkennen würde, wo einmal die Richhütte gestanden hatte, das Zuhause seiner Familie. Selbst jetzt, nach über einem Jahr meinte er immer noch, den Rauch des Feuers riechen zu können. Langsam trieb er Vangio weiter vorwärts, in die Richtung, wo früher der Dorfplatz gelegen hatte.
Doch je näher er dem Platz kam, desto vertrauter erschienen ihm die verfallenen Holzgerüste der einstigen Wohnbauten. Und mit jedem Schritt, den sein Pferd tat, schien auch das Tier nervöser zu werden. Um Vangio besser beruhigen zu können, ließ Lucan sich von seinem Rücken gleiten. Leise sprach er auf das treue Tier ein, als er es am Zügel weiterführte. Der Gestank wurde immer beißender, während der Nebel unter den Hufen des Pferdes davonwaberte, fast so, als wiche er ihnen aus. Schließlich blieb Lucan mitten auf dem Dorfplatz stehen und schaute sich suchend nach seinem Papa um. Aber da war keiner. Stattdessen bemerkte er auf einmal die regungslosen Schemen um sich herum, die unter dem dichten Nebel hervorblitzten wie ein Schwarm Fische unter der diesigen Wasseroberfläche eines Teichs.
"Papa?!" Ein Schauder packte Lucan von Kopf bis Fuß, da ihm mit einemmal klar wurde, daß es kein Nebel war, sondern Rauch. Rauch, vermischt mit grauschwarzer Asche, die vom Wind über den Boden getrieben wurde. "PAPA!" Die blauen Augen des Jungen blieben entsetzt an dem leblosen Körper hängen, der nur wenige Steinwürfe von ihm entfernt am Boden lag. Er kannte diesen Mann! Ganz langsam, Schritt für Schritt, wagte Lucan sich näher an den Toten heran. Endlich vor ihm stehend, erkannte er, daß es Falko war, der Vater von Godwina. Hektisch zuckte sein Blick weiter zu Altmut, über all die anderen Körper, die von Waffen durchbohrt in ihrem eigenen Blut lagen.
"NEIIIIIIIIIIIIIIIN!" Ein panischer Schrei löste sich aus der Kehle des Knaben. In Todesangst stob er davon, wich immer wieder den gefallenen Männern und Frauen aus, die seinen Weg zum Tor säumten. Lucan rannte einfach nur. Er wollte weg von hier, weg von den Römern, weg vom Tod und vom Schmerz, der ihm die Luft abzuschnüren schien. Er stürzte auf den Waldrand zu, rannte ohne zu wissen wohin durch Bäume und Unterholz. Obgleich er vor lauter Tränen fast nichts sehen konnte, gelang es ihm irgendwie, auf der anderen Seite des Waldes wieder hinauszufinden. Weiter vorne am Waldrand schimmerte helles Sonnenlicht durch die dünn gewachsenen Bäume. "LUCAN, HALT!" Er achtete nicht auf die Stimme seines unbekannten Verfolgers, der ihm dicht auf den Fersen war. Für ihn zählte nur das Licht dort vorne, das Ende all des Schreckens, der hinter ihm lag. Und dann spüter er plötzlich, wie eine Hand ihn am Arm packte. "BLEIB STEHEN!" "NEIN, LASS MICH!" Verzweifelt um sich schlagend, versuchte Lucan sich aus dem Griff zu befreien. "PAPA, HILFE, LASS MICH!" Doch wer immer ihn da erwischt hatte, ließ ihn einfach nicht mehr los. Mit beiden Armen hielt der Stärkere ihn so lange umklammert, bis Lucan ganz einfach zu erschöpft war, um sich länger zu wehren. Schluchzend und zitternd gab er auf - und seine Beine unter ihm nach. Vollkommen in Tränen aufgelöst, ließ Lucan sich ins Gras sinken. "Jetzt beruhige dich!" Die Stimme seines Verfolgers klang auf einmal gar nicht mehr böse. Sondern wie jemand, den er ewig nicht mehr gehört hatte, den er viel zu lange vermißt hatte ...
Ganz langsam und vorsichtig wagte Lucan, zu seinem großen Bruder aufzusehen. "Wieso darf ich nicht weiter? Ich will doch nur hier weg!" "Weil weglaufen nichts bringt!" Raban legte den Kopf schief und warf ihm ein warmes Lächeln zu. "Und weil du nicht hier her gehörst." Verwirrt drehte Lucan den Kopf. Hinter ihm lag zwar, wie erwartet, der dunkle Wald, doch nun erkannte er, daß das helle Licht nicht einfach nur die Sonne gewesen war. Das, was dort hinter den Bäumen schimmerte, war so hell, daß er einfach nicht weiter sehen konnte. Es erfüllte ihn gleichermaßen mit Ehrfurcht, wie auch mit Schrecken. Erneut kroch ein Schluchzer seine Kehle hoch. "Wo sind denn all die anderen?!" "In Sicherheit." "Aber, aber - die Toten im Dorf!" "Die ANDEREN sind in Sicherheit!" Sein Bruder sprach immer noch so sanft und unbeirrt, als würde er darüber reden, daß das Gras grün war und der Himmel blau. "Sie wurden rechtzeitig gewarnt, Lucan. Ein paar sind zurückgeblieben, um den Römern vorzutäuschen, daß euer Dorf noch bewohnt ist." Verwirrt blinzelte Lucan die Tränen weg, als Raban sich nun neben ihm im Gras niederließ. "Sie haben sich dem Feind tapfer entgegengestellt, damit all die anderen Dorfbewohner fliehen konnten. Sie sind jetzt in Walhalla, Lucan. Ihnen geht's gut. Und keine Angst. Du wirst deine neue Familie wiederfinden. Du und dein Papa." Immer noch sprachlos, konnte Lucan erstmal nur schlucken. "Wo - wo ist Vater?" brachte er schließlich in einer Mischung aus Schniefen und Schlucken hervor. "Da, wo auch Mutter und Falco sind." Lucan fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. "Merlind auch?" Aber Raban grinste nur, so daß Lucan verwirrt die Augenbrauen zusammenzog. Irgendwie war das typisch für seinen zweitältesten Bruder, daß er so reagierte. Früher hatte er ihn und den Rest der Familie auch wann immer es ging aufgezogen. "Du denkst schon wieder in die falsche Richtung, kleiner Bruder", schmunzelte Raban ihn an und streckte die Hand aus. Sein Finger zeigte zurück ins Dunkel des Waldes. "Deine Richtung ist da lang!" Lucan spürte, wie ein erneuter Schauder seinen Rücken hochkroch. Er sollte dorthin zurück, wo all die Toten und das Blut waren? "Hey", hörte er Rabans aufmunternde Stimme neben sich. "Der Wald hat noch keinem was getan. Ich dachte eigentlich, das wüßtest du längst von Marwin?" Sprachlos starrte Lucan ihn an. Scheinbar konnte Raban nicht nur seine Gedanken lesen, sondern wußte überhaupt alles, was ihm in den letzten Jahren passiert war. Bevor er jedoch eine weitere Frage stellen konnte, ergriff sein Bruder wieder das Wort. "Du mußt dich beeilen, Lucan. Ich muß wieder zurück zu den anderen und du mußt zurück auf den Weg. Nur so kannst du deine Familie wiederfinden." Stumm nickte Lucan, schluckte nun auch die letzten Tränen runter, während Rabans Hand zum Abschied sachte über seinen Rücken strich. "Jetzt geh und zeig uns, daß wir zurecht stolz auf dich sind, mhm?" Langsam erhob Lucan sich, ging ein paar Schritte ins Unterholz hinein. Bevor er aber gänzlich zwischen den Bäumen untertauchte, drehte er sich noch einmal um. "Raban? Sag den anderen, ich vermiß sie, ja?" Raban lachte leise, und es klang nun wie ein Echo aus weiter Ferne. "Das brauchst du doch nicht. Wir sind immer bei dir, Lucan." Mit diesen Worten verschwand der Schemen seines Bruders in dem gleißenden Licht. "Ich hab euch lieb!" flüsterte Lucan ihm nach, ehe er sich umdrehte und den Rückweg durch die Bäume antrat.
Das erste, was Lucan beim Aufwachen bemerkte, war, daß er sich halb in den Schlaffellen verhederrt hatte, die um ihn herum lagen. Mit einem müden Laut kroch er aus dem pelzigen Wust hervor und wischte sich die Haare aus den Augen. Dann erst fiel ihm auf, daß doch eigentlich gar nicht inmitten der Felle gelegen hatte. Verwirrt richtete er sich auf, blinzelte ins Halbdunkel der Hütte hinein. Wieso war er hier, hatte er nicht zuletzt auf der Bank neben Grimoalds Lager gesessen? Hastig sprang er auf. "Papa?" Er mußte sich erst einmal einen Überblick verschaffen, wer eigentlich in welchem Schlaflager lag ...
Beiträge: 110 Mitglied seit: 12.05.2010 IP-Adresse: gespeichert
Für den Moment wäre sie glatt lieber gestorben, als weiterhin in ihrem schmerzenden Körper festzustecken. Nach einigen mühsamen Schlucken glitt sie dankbar zurück in die Ohnmacht. Áine war erschöpft und auch irgendwie dankbar für die Fürsorge. Nur kurz drangen noch die Anweisungen zu ihr durch, die der bärtige Mann wohl an seinen Sohn weitergab. Ob sie mit dieser Vermutung richtig lag, würde sie wohl erst später erfahren. Erst einmal war sie in Sicherheit.
Im Dorf angekommen kümmerte sich dann eine erfahrene Heilerin um sie. Ihre Wunden waren zahlreich, aber bei weitem nicht so schlimm, wie sie auf den ersten Blick wirkten. Doch es war deutlich, dass man nicht gerade sanft mit ihr umgegangen war und ließ viel Platz für Vermutungen und reichlich besorgte Blicke. Wer war zu so etwas fähig? Lucan erzählte ihnen wie er sie gefunden hatte und verstärkte wohl damit die Wut auf die Römer und auch die Sorge darüber, ob es zu einer Konfrontation kommen würde. Niemand war traurig darüber, dass einer dieser Römer erschlagen im Straßengraben lag, aber es schürte Angst, was würde passieren, wenn man die Leiche fand. Die Römer wurden irgendwie immer unbarmherziger, wenn es um Vergeltungsschläge ging. Mehrere Männer wurden zur Straße geschickt und diese verscharrten dann die Leiche irgendwo tief im Wald. Sie würden einfach behaupten, sie wüssten von nichts. Man hielt eben zusammen. Außerdem hob es die Stimmung ein wenig, dass es einen Römer weniger auf der Welt gab.
Die Nacht senkte sich über das Dorf und Ruhe kehrte ein. Nicht nur Lucan träumte, auch Áine wanderte durch das Schattenreich. Sie sah nicht die Zukunft, sondern fand sich mitten im Schoß ihrer Familie wieder. “Papa!“ kreischte sie und viel diesem lachend um den Hals. „Langsam, Áine!“ tief war seine Stimme und es gab keinen Ort wo es für sie sicherer war, als in den Armen ihres Vaters. Er hatte sie schon immer vor allem Übel beschützt. Doch auch er hatte nicht vorhersehen können, wo es sie hin verschlug und wie ihr Leben aussehen würde. Er hätte sie dann wohl niemals Coinneach heiraten lassen. Gemeinsam waren sie aufgewachsen. Wie groß war der Schmerz seines Verrates. „Er hat mir einen Antrag gemacht“, jubilierte sie und verstummte, als sie das wissende Grinsen ihres Vaters sah. „Du hast es gewusst!“ meinte sie fast vorwurfsvoll und strahlte über das ganze Gesicht. Sie hatte Coinneach schon immer gemocht und sogar geliebt. „Natürlich“, sanft küsste er sie auf die Stirn. „Er wollte mein Einverständnis, ehe er dich fragt!“ „Du hast nichts dagegen?“ „Ich will das du glücklich wirst!“ Diese Stimme aus der Vergangenheit schien sie jetzt zu verfolgen.
Beiträge: 1374 Mitglied seit: 12.11.2008 IP-Adresse: gespeichert
Grimoald war in tiefen Schlaf gefallen, nach dem die Heilerin seine Wunde genäht und gut verbunden hatte. Auch er träumte. Sehr intensiv sogar. Dies verrieten die unruhig hinter den Lidern hin und her gehenden Augäpfel, das Zucken der Hände und das gelegentliche Murmeln. Doch was er geträumt hatte, vergaß er in dem Moment, in dem er versuchte, den Traum festzuhalten. Er öffnete die Augen. Hatte Lucan ihn gerufen? Noch den Schlaf aus den Augen blinzelnd, wandte er sich seinem Sohn zu. "Guten Morgen. Du hast doch hoffentlich nicht die ganze Nacht hier gewacht?" Dann erinnerte er sich an die verletzte Frau. Und auch an seine eigene Verletzung. Seine Hand ging zu der Stelle, an der das Messer ihn getroffen hatte. Als er leicht drückte, tat es natürlich weh. Aber nicht so sehr, wie er erwartet hatte. "Wie geht es der Frau?"
Beiträge: 588 Mitglied seit: 13.12.2008 IP-Adresse: gespeichert
Nach kurzem Umsehen hatte er wieder die beiden nebeneinander liegenden Schlaflager entdeckt, wo Grimoald und die fremde Frau ruhten. Rasch lief Lucan wieder zu seinem Papa und setzte sich auf die Bank neben ihm. Sein leises Rufen hatte Grimoald sogar aufgeweckt - und er schien überraschend munter, so daß der Junge ihn erleichtert anlächelte. "Ich, ähm - Nein, ich hab drüben geschlafen", erklärte er und deutete mit der Hand in Richtung seiner eigenen zerwühlten Schlafstätte. Auf Grimoalds Frage hin warf Lucan einen prüfenden Blick zu der Fremden hin. "Sie schläft noch", meinte er leise zur Antwort. "Aber du siehst schon viel besser aus!" Wieder lächelte er seinem Papa zu.
Beiträge: 1374 Mitglied seit: 12.11.2008 IP-Adresse: gespeichert
Grimoald streckte die Hand aus, um Lucan über den Kopf zu strubbeln. "Es geht mir auch schon viel besser. Hast Du die Hunde versorgt? Was ist mit Horus? Ist er davongeflogen, bevor wir hier ankamen?" Er konnte sich gar nicht mehr erinnern. Am Ende war nur noch Schmerz und Kälte gewesen. "Schau doch mal nach der Frau, ja? Ich glaube, ich brauche noch etwas, bevor ich mich aufraffen kann." Genauer gesagt, wollte er erst langsam und vorsichtig mit probeweisen Bewegungen anfangen. Er wußte nicht, ob er überhaupt aufstehen konnte, was er allerdings hoffte. Jedenfalls wollte er Lucan keine falschen Versprechungen machen. Der Junge war belastet und verunsichert genug.
Beiträge: 588 Mitglied seit: 13.12.2008 IP-Adresse: gespeichert
"Gestern Abend, ja", nickte er zur Antwort. Zwar hatte er selbst keinen Bissen runterbekommen, doch für Anda und Pix hatte er dennoch eine angemessene Portion besorgt. "Und Horus ist gestern in dem Durcheinander weggeflogen. Heute konnt' ich noch nicht nachsehen, ich bin gerade erst aufgewacht ..." Wieder nickte er und hopste erneut von der Bank auf, um nun zum nebenstehenden Lager zu treten. Ruhig beobachtete er die Frau, horchte auf die kaum hörbaren, gemurmelten Laute, die über ihre Lippen kamen. Dies schien weniger an den Schmerzen zu liegen als an der Tatsache, daß die Verletzte träumte. So wie ich. Überwältigt von der plötzlich zurückkehrenden Erinnerung, starrte Lucan vollkommen weltvergessen die blonde Frau an. Doch er sah nicht länger sie, sondern die Traumbilder der letzten Nacht. Alarichs Dorf war niedergebrannt. Und die Bewohner hatten fliehen können. Weil manche Krieger und Frauen, die älteren oder die kranken, dageblieben waren, um die Römer abzulenken. Marwin, seine Mama und das ungeborene Geschwisterchen waren jetzt irgendwo anders, genau wie Roald, Yelva und Ariald. Aber Grimoald und er würden sie schon finden. Sie mußten nur in die richtige Richtung gehen, so ähnlich hatte Raban doch gesagt ...? Im Traum war er einfach zurück durch den Wald gelaufen, weil auf der anderen Seite der Weg gewesen war. Hieß daß, Grim und er müßten auch ein Stück ihres Weges zurück, um die anderen zu finden?! Grübelnd zwirbelte der Junge seine Haare um die Finger herum. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß der Traum ihn auf etwas wichtiges stoßen wollte, doch gleichzeitig überlegte er, wieviel davon denn nun einfach seiner Angst entsprang und was wirklich wichtig war. Verwirrt kratzte Lucan sich an der Stirn und schob eine nervige Haarsträhne hinters Ohr. Was war überhaupt aus dem toten Römer geworden? Vielleicht sollte das mit dem Zurückgehen auch heißen, daß sie ihn irgendwo begraben sollten, um kein unnötiges Aufsehen bei anderen Römern zu erregen? Aber hatte der Rich nicht gestern, als er ihm Bericht erstattet hatte, irgendwas darüber gesagt?! Lucan schüttelte zu sich selbst den Kopf, zog im Versuch, sich zu konzentrieren, die Augenbrauen zusammen. Die Erinnerung daran war ziemlich verschwommen, wahrscheinlich deshalb, weil er selbst gestern total durch den Wind gewesen war ...